Kritik 17.09.2022

Rosa und die brennende Welt

Das hässliche Universum
© Max Göttner

Wie sieht die perfekte Welt aus? Und kann Vorstellungskraft sogar Kapitalismus beenden? Diese Fragen verhandelt David Schnaegelbergers Inszenierung „Das hässliche Universum“. Unsere Autorin Sherin El Safty hat die Premiere gesehen, die mit schnellen Dialogen überzeugt, sich jedoch zeitweilig etwas verliert.

Bar und Bühne sind im Wuppertaler Kulturzentrum Insel e.V. im selben Raum. Tische mit mehreren Stühlen daran sind frei im Raum vor der Bühne verteilt. Menschen, die sich nicht kennen, sitzen zusammen am Tisch, kommen bei einem Getränk von der Bar miteinander ins Gespräch. Alle tragen einen rosa Button, den sie am Eingang ohne Erklärung bekommen haben. Das Licht ist gedimmt, die Stimmung ist locker, ein Hintergrundrauschen von Plaudern schwappt durch den Raum.

Das wird jäh durchbrochen, als zwei Frauen in schwarzen Mänteln die Bühne betreten und mit ihren durchdringenden Blicken ins Publikum starren. Die Schauspielerinnen Lena Müller und Miriam Gronau füllen den Raum mit einer Mischung aus Spannung und Unheimlichkeit. Beide wirken einnehmend und strahlen Autorität aus. Sie stellen sich selbst als Mental-Trainerinnen vor und grüßen das Publikum von einer gewissen Rosa, die heute nicht mit dabei sein könne. Und sie erinnern die Zuschauer*innen daran, dass sie heute Abend hier seien, um die eigene Vorstellungskraft zu schulen. Denn Rosa sagt: Unsere Vorstellungskraft ist unsere Waffe. Deswegen müsse sie trainiert werden. Die beiden Mental-Trainerinnen fordern also alle Zuschauer*innen auf, sich etwas gänzlich Unbekanntes vorzustellen. Wie eine Katze mit Flügeln. Oder eine Welt ohne Bettler*innen. Dann wird es plötzlich dunkel.

Das hässliche Universum

© Max Göttner

Hat Rosa am Ende doch recht?

Als das Licht wieder angeht, erzählen sich eine dauergestresste Mutter und ein Teenager in der Sinnkrise gegenseitig von ihrem Leben. Ihre Geschichten verbinden sich, als sie unabhängig voneinander Rosa treffen – zumindest wird die Frau aus dem Internet so genannt. Und Rosa verändert das Leben der beiden: Sie möchte Ungerechtigkeiten nicht länger akzeptieren und sich über bestehende Herrschaftsverhältnisse hinwegsetzen. Dafür, sagt sie, muss alles brennen.

Mit diesem Phantom, das nie selbst die Bühne betritt, hinterfragt das Stück bürgerschaftliches Engagement, Herrschaft, Liebe, Vertrauen, Kapitalismus. In ideenreichen und scharfsinnigen Dialogen nimmt es das Publikum mit in eine Utopie, in der alle unsere gesellschaftlichen Krisen, von Armut bis Klimakatastrophe, bewältigt sind. Im nächsten Moment aber bricht die Utopie wieder und es wird klar, welche Herausforderungen bis dahin noch bevorstehen. Hat Rosa am Ende doch recht? Muss alles brennen, muss alles zerstört werden, um eine völlig neue, gerechtere Welt aufzubauen?

Intime Dialoge und unerklärliche Tote

Trotz dieser übergeordneten Fragen verliert sich die Inszenierung zeitweise. Manche Szenen sind nicht intuitiv verständlich und wirken deswegen zusammenhangslos. So wird in der Mitte des Stücks jemand beerdigt, ohne dass klar wird, wer der oder die Tote ist. Rosa, der Kapitalismus oder die Welt, wie wir sie kennen?

Das hässliche Universum

© Max Göttner

Auch einige angeteaserte Elemente bleiben unaufgelöst. So beispielsweise der rosa Button, den alle Zuschauer*innen am Eingang bekommen haben. Oder die Vorstellungsübungen am Anfang, die nie richtig Teil des Stücks werden. Und so fragt man sich umsonst: Was sehen die Zuschauer*innen für unbekannte Dinge vor ihrem geistigen Auge? Wie stellen sie sich Wandel vor?

Letztlich bleiben aber vor allem die intimen Dialoge zwischen den Figuren und die anregenden Gedankenexperimente hängen. Besonders jenes, das eine Welt ohne Bettler*innen skizziert. Wieso erscheint uns etwas so Erstrebenswertes so unerreichbar? Wieso nehmen wir das Leid, das wir jeden Tag im Alltag sehen, einfach so hin? „Das hässliche Universum“ lässt all diese Fragen im Raum stehen. Und regt an, sich öfter bewusst vorzustellen, was zunächst unvorstellbar erscheint.

Kommentare

Sherin El-Safty
Sherin El-Safty
studiert Islam- und Sozialwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Sie leitet den Ruhrgebietspodcast „Pottgedanken“ mit und schreibt als freie Autorin u.a. für EDITION F und kritik-gestalten.