Digitale Sichtbarkeit, Interview 31.12.2022

Die große Lücke

Die große Lücke
© CallForKunst

Freie Kunstschaffende sind auf finanzielle Förderungen angewiesen und verbringen einen Großteil ihrer unbezahlten Projektarbeit deshalb mit Förderrecherche. Eine digitale, nicht kommerzielle Plattform will hier Abhilfe schaffen: CallForKunst bündelt (inter-)nationale Calls und macht sie Künstler*innen kostenlos und ohne Anmeldung zugänglich. Unsere Autorin hat mit Ulrike Weidlich gesprochen, der Gründerin dieser Plattform.

2015 von Ulrike Weidlich gegründet, entstand die Plattform CallForKunst aus einem praktischen Bedürfnis heraus: Während ihres Studiums der Szenischen Forschung in Bochum begann Weidlich, Mitbegründerin des Bochumer atelier automatique, selbst Ausschreibungen und Fördermöglichkeiten zu recherchieren. „Ich empfand es als Problem, dass es sowas in den Freien Darstellenden Künsten noch nicht gab und dachte, wenn ich die Arbeit ohnehin für mich mache, kann ich die Informationen auch anderen bereitstellen“, sagt sie. Dadurch, dass ihr Partner ITler sei, konnte die Seite CallForKunst in einer Nacht-und-Nebel-Aktion entstehen. Sie stellte die Ausschreibungen zusammen und veröffentlichte sie auf der neuen Plattform. Das war der Anfang. Seither wird die Datenbank immer umfangreicher, durch die Förderung für „Digitale Sichtbarkeit“ konnte sie umfassend erweitert und ausgebaut werden. So sollen die Förder- und Ausschreibungsrecherchen für Künstler*innen weiter erleichtert und die Produktionsbedingungen nachhaltig verbessert werden. Bis heute hat das Modellcharakter und ist bundesweit einzigartig.

Wie kuratierst Du die Ausschreibungen?

Ulrike Weidlich: Natürlich ist es sehr abhängig davon, was mir über den Weg läuft. Ich denke ästhetik- und genreübergreifend und habe damit ein sehr breites Verständnis von Darstellender Kunst: Nicht nur Theater, sondern auch Medien- oder Klangkunst gehören dazu, viele Projekte haben Schnittstellen zur bildenden Kunst. Nach diesem weiten Verständnis habe ich die Auswahl von Anfang an gemacht. Ich merke aber, dass Tanz und Choreografie viel vorkommen und auch die Medienkunst immer breiter vertreten ist.

Außerdem ist der Grundgedanke des Ganzen für mich ein solidarischer: Es gibt auch ein Onlineformular bei uns, über das jede*r selbst Ausschreibungen auf der Seite hochladen kann. Inzwischen stellen auch viele Kulturinstitutionen ihre Calls selbst bei uns ein. Wir sichten die Einträge und schalten sie dann frei, so entsteht eine interessante Bandbreite.

Mittlerweile haben wir ein ziemlich großes Archiv von rund 3500 Einträgen. Das konnten wir im Rahmen der Förderung für „Digitale Sichtbarkeit“ aufbereiten und werden es bald freischalten. Hier kann man mal einen ganz anderen und sicher hilfreichen Blick auf die Szene bekommen.

Wie ist die Resonanz auf die Datenbank?

Ulrike Weidlich: Anfangs haben wir die Klicks mit einem Marketing-Tool verfolgt, weil wir natürlich wissen wollten, ob sich überhaupt jemand dafür interessiert. Es war ziemlich schnell klar, dass das gut funktioniert, uns haben in dieser Zeit viele Dankesmails erreicht. Ich konnte das so gut verstehen, weil die Seite ja aus genau diesem Bedürfnis heraus entstanden ist – wir sitzen halt alle im gleichen Boot.

Was die Inhalte betrifft, ist die Verteilung nicht überraschend: Immer mal wieder gibt es Ausschreibungen auf Englisch, die über den deutschsprachigen Raum hinausgehen, aber der Großteil betrifft Projekte und Förderungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ich kenne die aktuellen Zahlen nicht, aber bei der letzten Prüfung wurde die Seite vor allem aus Berlin und NRW geklickt. Das liegt auch daran, dass wir hier in NRW viel Werbung durch Kolleg*innen und Institutionen haben, mit denen ich seit Jahren immer wieder selbst künstlerisch zusammenarbeite. Das könnten wir für andere (Bundes-)Länder gar nicht leisten.

Wie habt Ihr die Seite aufgebaut und wie entwickelt Ihr sie weiter?

Ulrike Weidlich: Wir haben überlegt: Was würde ich mir für eine solche Seite wünschen? Nach welchen Kategorien würde ich suchen und welche Infos bräuchte ich? So ist die Seite sehr simpel aufgebaut. In vier Kategorien sind Open Calls zu Festivals oder Ausstellungen zu finden, genauso wie Infos zu Förderungen, zum Beispiel Projektförderungen oder Residenzen. Auch immer mehr Tipps und Einblicke zu Förderungen stellen wir zusammen, da kann man sich entsprechend der eigenen Bedürfnisse durchklicken.

Man kann sehen, welche Ausschreibungen neu sind und welche Fristen als nächstes ablaufen. Und ganz unten in einem kleinen Feld wird angegeben, wie viele Ausschreibungen gerade online sind. Diese Dinge sind mit der Zeit dazugekommen und wir gucken immer wieder, welche weiteren Filter, Infos und Möglichkeiten sinnvoll wären. Durch die Förderung für „Digitale Sichtbarkeit“ konnten wir die Seite unter anderem um Sachen ohne Frist ergänzen. Das betrifft vor allem Stiftungen, die sind bisher völlig hinten runtergefallen und kommen jetzt endlich vor.

Ihr stellt aber ja nicht nur Fristen und Infos zu einzelnen Ausschreibungen online, sondern inzwischen auch Tipps zu Anträgen und Förderverfahren. Was findet man da genau?

Ulrike Weidlich: Es gibt nicht nur Links und gezielte Literatur, sondern auch Texte und Gedanken von Expert*innen, die wir gebeten haben, einen Einblick in ihre Erfahrungen als Mitglieder in Auswahlkommissionen und Jurys zu geben. Auch dieser Teil der Seite wächst stetig, bisher waren nur Autor*innen aus dem Ruhrgebiet vertreten, dank der Förderung sind Texte aus dem gesamten Bundesgebiet dabei. Der Auslöser dafür waren die vielen Fragen zu Projekten und Auswahlverfahren, die uns erreicht haben: Was muss ich tun, um eine Förderung für mein Projekt zu bekommen? Nach welchen Kriterien funktionieren Auswahlprozesse in Jurys?

Das zu beantworten und individuell zu beraten, können wir nicht leisten. Aber wir können natürlich Links und Fachtexte zu diesen Themen bereitstellen. Zum Beispiel gibt es einen Text über Mutterschaft und Kunstförderung: Was für Probleme tauchen in der Kunstförderung auf, sobald du ein Kind hast? Und was müsste sich verändern, damit sie familienfreundlicher wird? Ein anderer Artikel dreht sich ganz konkret um die Kunstförderung der Stadt Düsseldorf. Jede Kommune geht unterschiedlich vor und es dürfte für viele Leute super interessant sein, zu wissen, wie die Praxis da aussieht.

Durch die Förderung für „Digitale Sichtbarkeit“ konnten wir außerdem jemanden dafür bezahlen, online nochmal eingehend Material zu recherchieren: Wie kann ich nachhaltig Kunst machen? Wie schreibe ich einen Antrag richtig? Was gibt es schon für Literatur, die wir bündeln können? Dieses Material stelle ich jetzt nach und nach online.

 Was fordert Euch beim Pflegen und Erweitern der Datenbank heraus?

Ulrike Weidlich: Im Alltag können wir nur das Allernötigste machen und das bedeutet vor allem, die Seite technisch auf dem Laufenden zu halten, so gut es geht Ausschreibungen zu recherchieren und zu veröffentlichen sowie Einträge von außen zu sichten und dann freizuschalten.  Natürlich würde ich das am liebsten immer alles sofort tun und selber viel mehr recherchieren. Aber weil ich es ehrenamtlich mache, fehlt dafür häufig die Zeit und dann dauert es mal ein paar Tage.

Zwischendurch haben wir einen Förderkalender NRW auf unserer Seite etabliert, in dem wir die Ausschreibungen bzw. Förderzeiträume übersichtlich nach Monaten sortiert haben. Da konnte man gezielt nachsehen, in welchem Monat man sich auf welche Förderungen bewerben kann. Aber diesen Kalender konnten wir nicht regelmäßig updaten und mussten ihn dann vom Netz nehmen, weil er einfach zu schnell nicht mehr aktuell war.

Ähnlich zeitaufwendig ist die Beantwortung der Zuschriften: Ich bekomme zahlreiche Nachfragen zu Ausschreibungen und einzelnen Bewerbungsverfahren. Diese Menge an Zuschriften ist kaum zu bewältigen, selbst wenn man da nur auf die Projekte verweist.

Was würdest Du Dir wünschen, um die Seite am Leben und aktuell halten zu können?

Ulrike Weidlich: Wir sind 2015 mit der Seite online gegangen und müssten viel häufiger und umfassender Änderungen und Aktualisierungen durchführen. Mehr als die technische Wartung und die Veröffentlichung der Ausschreibungen können wir in der Regel aber kaum leisten. Durch die Förderung für „Digitale Sichtbarkeit“ war das endlich mal anders, wir konnten kompetente Menschen dazu holen, die uns mit ihren Kapazitäten unterstützt haben und so all die Neuerungen schaffen, von denen ich eben gesprochen habe. Auch konnten wir einen Presseverteiler und unterschiedliche andere Mailverteiler erstellen, über die wir in Zukunft sehr viel einfacher und konzentrierter über unsere Arbeit informieren können.

Vor allem wünsche ich mir also, dass wir nicht überall durch das Förderraster fallen und solche Veränderungen künftig viel mehr umsetzen zu können. Das Problem ist, dass wir nicht projekt-, personen- oder ortsbezogen arbeiten und unsere Arbeit sich nicht auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt. Für Initiativen wie CallForKunst bräuchte es eine Art Strukturförderung im wahrsten Sinne des Wortes, das wäre für uns und die ganze Szene unheimlich wertvoll.

Zum Beispiel wäre es toll, wenn wir einen Newsletter verschicken könnten. Danach werden wir oft gefragt und mir scheint diese Idee schon aufgrund all der Fristen, die wir recherchieren, sehr sinnvoll. Das Problem ist, dass so ein Newsletter kein abgeschlossenes Projekt ist. Wir wissen, wie Förderung funktioniert. Ich kann aber nicht zwei Monate lang einmal die Woche einen Newsletter verschicken und dann plötzlich wieder damit aufhören. Wir bräuchten also eine Förderung, die uns einen sehr großen Zeitraum gibt, zum Beispiel ein Jahr.

Und eine Schnittstelle zu anderen Seiten wäre toll, die auch Ausschreibungen sichtbar machen wollen. Wenn es da auf der Ebene der Backends Vernetzungsmöglichkeiten geben würde. Dann könnte man zum Beispiel aus dem Tanzbereich etwas zu Institutionen rüber spielen, die auf Zeitgenössischen Zirkus fokussiert sind und umgekehrt. So könnte man sich besser vernetzen und den Einzelnen viel Arbeit ersparen. Das ist ja eigentlich eine zentrale Stärke der Digitalität!

Und ich habe den ganz persönlichen Traum, dass wir selbst eine Förderung zur Verfügung stellen können, die über ein Los vergeben wird. Wir beschäftigen uns immer mit Förderung, für die man unglaublich viel machen muss und durch die man in eine blöde Konkurrenz zueinander gerät. Zudem erfährt man nur selten die Gründe für Zu- oder Absagen. Für ein Losverfahren bräuchte es natürlich gewisse Regularien, aber es wäre eine schöne Ergänzung zu den bestehenden Förderstrukturen, von denen wir alle abhängig sind. Für CallForKunst wäre es das totale Sahnehäubchen, Künstler*innen selbst ein Projekt zu ermöglichen.

Genre

#digitalesichtbarkeit, Onlineplattform, Website

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Elisabeth Luft
Elisabeth Luft
lebt und arbeitet in Köln als freie Autorin, Kultur- und Theaterjournalistin (u.a. WDR, DLF). Sie studierte Germanistik, Medienkulturwissenschaften und Theaterwissenschaft in Köln, Rom und München. Sie leitet Blogredaktionen bei Theaterfestivals und ist in unterschiedlichen Theaterjurys tätig.