Einmal so, immer so?

„Musst du eigentlich immer Sonnencreme benutzen? Du hast so weiche Haut, für eine Weiße bist du echt schön!“ In ihrem Tanzstück „Fühl die Welt durch meine Haut“ dreht Khadidiatou Bangoura den Alltagsrassismus einfach um und legt dabei seine ganze Willkür frei, berichtet unsere Autorin.
„Macht ihr das, weil die katholische Kirche das sagt? Wohnt ihr alle in Skihütten? Und trinkt ihr immer Bier?“ Ein unangenehmes Gefühl überkommt mich, als die Tänzer*innen um Choreografin Khadidiatou Bangoura sich mit diesen Worten zwischen uns hindurch über den Tanzboden winden. Plötzlich steht eine Tänzerin (Joana Kern) vor mir und schaut mir mit einem großen Lächeln direkt in die Augen: „Darf ich deine Haare mal anfassen? – Wie pflegt man die eigentlich? Für eine Weiße bist du echt schön!“ Eindringlich werde ich dabei auch von der Seite begutachtet (Emiko Tamura) und das unangenehme Gefühl in meinem Körper wandert immer tiefer. Mein Herz klopft und ich lächle etwas unsicher, weil die Situation so absurd und so schmerzhaft ist. Nicht etwa, weil ich die Fragen merkwürdig finde – nein, oh Wunder wohne ich nicht in einer Skihütte, ernähre mich nur von Brot und Bier und versammle sämtliche andere Vorurteile in mir, nur weil ich eine weiße Deutsche bin. Was mich bestürzt, ist, wie ungewohnt und unwahrscheinlich eine solche Situation im Alltag für mich als Teil der weißen Privilegierten ist. Das „danke“ für ihr Kompliment bleibt mir deshalb im Halse stecken, Joana Kern grinst und wendet sich voller Neugier den anderen Zuschauer*innen zu.
Eindruck von körperbezogener Diskriminierung
Gleich erinnert mich diese Szene an „Enjoy Racism“, ein performatives Experiment des Schweizer Regieduos Thom Truong, das ich 2018 in München erleben durfte. Dort wurde das Publikum nach Augenfarben voneinander getrennt, blau und braun. Wir hielten uns in verschiedenen Räumen auf, wurden gegeneinander ausgespielt, erlebten Machtdemonstrationen, Demütigungen und Privilegien – je nach Zuordnung. Nur, dass ich mich mit meinen blauen Augen damals in der Rolle der offen Unterdrückenden wiederfand. Das, was ich heute Abend im Bürgerzentrum Kalk erlebe, tut noch viel mehr weh. Auch wenn die jahrelange Wiederholung der immergleichen Anfeindungen, Vorurteile und Stereotypen in der Kürze eines Abends nicht erfahrbar ist, bekomme ich doch einen Eindruck dieser Demütigung.
Bildgewordener Geschichtsentwurf
Um uns herum Aufsteller mit Porträts Schwarzer Königspaare, Schwarze Pharaon*innen und Kirchenoberhäupter, reich geschmückt und edel gekleidet. Ein anderes Bild zeigt zwei junge weiße Frauen in karierten Kleidern hinter einem Gitterzaun, davor festlich gekleidete Schwarze Menschen, die die beiden Frauen offen anstarren und sich über sie amüsieren. Oder eine Landkarte mit dem Titel „Kolonien in Europa (1895)“, auf denen einige der heutigen EU-Länder in namibisches Zentraleuropa, eritreisch-lybisches Südeuropa oder kongolesisches Belgien eingeteilt sind. Eine ungewohnte und doch sehr vertraute Kategorisierung, verlegt sie die bestürzend simple wie willkürliche Einteilung afrikanischer Länder kurzerhand auf die Länder der unersättlichen Kolonisatoren. Ein vermeintlich einfacher Vorgang, der in meinem Kopf aber sämtliche „was wäre gewesen, wenn…“-Gedanken ins Rollen bringt. Während ich noch gefesselt bin von diesem bildgewordenen Geschichtsentwurf, fangen die Aufsteller plötzlich an sich zu bewegen. Schnell begeben wir uns auf unsere Plätze.
Umkehr von Privilegierten und Diskriminierten
Fünf Schwarz und asiatisch gelesene Tänzer*innen in weißen Gewändern und zwei weiß gelesene Tänzer*innen in braunen Gewändern zeigen, wie einfach diese Umkehr von Privilegierten und Diskriminierten in der Theorie ist. Und betonen damit nochmal die Willkür dieser Einteilung. So bewegen sich die beiden weiß gelesenen Tänzer*innen Mareile Gnep und Eugenia Lapadula auf Knien und Händen langsam von links und rechts über die Bühne, auf ihren Rücken stehen zwei der Schwarzen Tänzer*innen aufrecht und blicken starr und hochmütig nach vorne (Bawelima Dessa Ganda, Janaina Domingos). Im nächsten Moment ein ganz normaler Clubbesuch: am Eingang zwei Schwarze Sicherheitskräfte, die den beiden Weißen mit ihren verschränkten und im Rhythmus auf und ab wippenden Armen voller Strenge, Überheblichkeit und ohne Worte bedeuten, draußen zu bleiben.
Ein ganz neues Bild der jahrhundertelang anhaltenden Willkür
So vermeintlich schnell diese Momente sich erzählen, so eindrücklich sind die Bilder, die sie erzeugen. Das Erschreckende ist ihre Einfachheit, das Schöne die tänzerische Wucht, mit der all diese Augenblicke geformt werden. Steinerne Blicke wechseln sich ab mit zärtlichen, harte Bewegungen mit weichen. Arme fliegen durch die Luft oder recken sich sehnsüchtig zum Gegenüber. Füße bewegen sich langsam und filigran, ja auf Zehenspitzen, oder stampfen mit Ballen und Fersen so schnell auf, dass man zurückschreckt. Dabei grenzt sich das eine stets klar vom anderen ab und wird doch zu einem großen Ganzen, bis alle sieben Tänzer*innen synchron und voller Kraft im Rhythmus vereint sind. So gelingt Khadidiatou Bangoura ein ganz neues Bild der jahrhundertelang anhaltenden Willkür. Sie zeigt Kampf und Schmerz, aber auch Kraft und Empowerment. Die Zuversicht und die Freude, die beim Applaus aus den Augen der Tänzer*innen sprechen, lassen aufatmen.