Kritik 23.12.2022

Fetzen eines Menschenlebens

CONQUISTA 21 / Omar Guadarrama
© Sarah Rauch

In seiner deutsch-mexikanischen Performance „CONQUISTA 21: Luchar por el destino“ geht Omar Guadarrama der Geschichte Mexikos nach – und damit seiner eigenen Geschichte. Eine sinnliche Eroberung.

Seine Mutter trage den Nachnamen Moctezuma, sein Vater Cortés, erzählt Omar Guadarrama. Der Performer nimmt uns mit hinein in seine Familiengeschichte, die immer auch die Geschichte seines Landes ist. Hernán Cortés eroberte vor über 500 Jahren das Reich der Azteken, der Mexica, dessen Herrscher damals Moctezuma war. Zwei Widersacher in einer Brust – diese Last, dieser Zwiespalt, diese Anspannung ist dauerhaft spürbar in Guadarramas Inszenierung. Der Fall von Mexiko-Tenochtitlan lässt auch die nachkommenden Generationen nicht los.

CONQUISTA 21: Luchar por el destino“ – übersetzt „EROBERUNG 21: Kampf um das Schicksal“ – ist als deutsch-mexikanische Produktion entstanden. Im November des vergangenen Jahres gab’s die Premiere in den Räumen des Goethe Instituts Mexico, jetzt zeigte Omar Guadarrama seinen Momente-Monolog im Bochumer atelier automatique. Hinter den großen, nicht abgehängten Scheiben des Eckgebäudes scheinen die Autolichter, Passant*innen laufen vorbei. Die Gleichzeitigkeit der Geschehnisse, dieses Aufeinandertreffen von Gegenwart(en) und Geschichte, das schon in der Performance angelegt ist, erzeugt einen eigenwillig-verstörenden Eindruck. Ja, es passt ganz wunderbar, dass die Außenwelt nicht draußen bleibt, dass wir Getrennt-Verbundene sind.

Omar Guadarrama schiebt derweil Pappklötze über den Bühnenboden, mal strukturiert, mal hilflos wütend. Kieselsand läuft heraus. Mal sind sie Mauer, mal Brücke, mal hält er zwei vor sein Gesicht, auf denen Köpfe skizziert sind – Mutter und Vater, Vorfahren, die ganze Geschichte in einem schemenhaften Bild. Guadarrama deutet an, belässt es bei Anspielungen, übersetzt nicht jeden spanischen Text ins Deutsche. Und doch zeigt er sich persönlich. „Ich bin Omar“, sagt er, bestimmt, selbstbewusst, deklamierend. Ein Foto seiner Eltern ist an die Wand geworfen, ein Blick ins Wohnzimmer, auf den bequemen Sessel. Im Vordergrund bewegen sich Kinderbilder Omars. Erst das Kind, dann der Erwachsene schauen direkt in die Kamera. Worüber die Eltern sprechen, bleibt unübersetzt (für mich also leider unverständlich). Trotzdem ist die projizierte Situation eine berührend intime.

CONQUISTA 21 / Omar Guadarrama

© Sarah Rauch

„Was habe ich falsch gemacht?“ Guadarrama richtet seine Frage an sich selbst. „Alles und nichts… Es war unvermeidlich.“ Später schlägt er auf seine Schuhe ein, klebt die gemalten Umrisse Mexikos an die Wand, ein (mit Farbe) beflecktes Land, er hebt die Waffe in die Höhe, zündet einen Feuerkreis an. „Es gibt nichts zu beklagen… Mexiko wird weiterleuchten, bis die Götter die Augen schließen… Unsere Tempel sind Staub. Aber unsere Kinder leben…“ – die eingesprochenen Sätze sind schwer, auch pathetisch, hängen nach, Klötze am Bein der Menschheit.

Und immer wieder taucht der Begriff Schicksal auf. Nicht den Tod fürchte er, sondern das Schicksal. Für Nicht-Spanisch-Sprechende und für ein Publikum, das sich in der mexikanischen Geschichte nicht entsprechend auskennt, bleibt vieles an diesem Abend im Vagen, im Unklaren. Aber ein Gefühl vermittelt sich: Omar Guadarrama ist ein Zerrissener, ein Geworfener, auch ein Getriebener. Geschichte geben wir weiter, tragen wir immer mit, auch unfreiwillig. Die Performance liegt in Fetzen vor uns, ein Flickenteppich aus Erinnerungen, Bildern, Symbolen, Gefühlen, Körper und Sound. Ein Menschenleben eben.

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Sarah Heppekausen
Sarah Heppekausen
lebt und arbeitet im Ruhrgebiet als freie Autorin und Theater- und Tanzkritikerin. Studierte Philosophie, Theaterwissenschaft und Germanistik in Bochum und lehrte an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 2016 leitet sie verschiedene Blogredaktionen von Theater- und Tanzfestivals.