„I give a fuck“: Punk gegen Perfektionismus

Haltung zeigen, aber ohne Perfektionszwang: Das ist das Credo des Kollektivs STERNA|PAU. Sie wollen eine Arbeitsweise etablieren, die die mentale Gesundheit in den Mittelpunkt stellt und alternative Wissensformen zulässt. In ihrer aktuellen Arbeit „the hex pistols“ verbinden die drei Theatermacherinnen so Musik und Magie, Punk und Hexen.
Was ist eigentlich Punk? Grüne Haare und Anti-alles? Gitarrenriffs und Schlagzeugsolos? Subversive Kraft kombiniert mit distanzierter Gleichgültigkeit? Oder liegt die Definition von Punk gerade darin, dass er sich jeglicher Definition entzieht? Vermutlich gibt es auf diese Frage so viele Antworten wie Punkmusiker*innen auf der Welt. Doch das Theaterkollektiv STERNA|PAU ist sich zumindest darin einig, was Punk nicht sein sollte: von Cis-Männern dominiert. Die drei Theatermacherinnen Maren Becker, Laura Pföhler und Jolanda Uhlig bilden den Kern des Kollektivs und finden, dass Punk auch auf die Theaterbühne gehört – und zwar mit Haltung, aber ohne Perfektionszwang. „the hex pistols“ heißt der dritte Teil ihrer „Haecksen-Trilogie“, mit der sie zwei persönliche Interessen auf der Bühne miteinander verbinden und so ein außergewöhnliches Match inszenieren: Magie trifft auf Musik, Hexen auf Punk.
Wie schon bei vorherigen Arbeiten hat STERNA|PAU sich auch für diese Produktion künstlerische Unterstützung gesucht: „Als wir uns überlegt haben, dass wir eine Band gründen wollen, war sofort klar, dass wir nicht gleichzeitig auf der Bühne stehen und den Außenblick haben können“, erklärt Maren Becker. Generell lebe ihr Kollektiv von einer funktionierenden Arbeitsteilung, was auch das große Netzwerk erklärt: „Für uns fühlt es sich sehr viel stressiger an, wenn alle alles machen. Es ist ja auch cool, wenn man gewisse Aufgaben und Verantwortungsbereiche verteilen kann.“ Als STERNA|PAU also 2021 zum Bandcasting aufrief, sei die Nachfrage – auch wegen Corona – sehr hoch gewesen. In die Endrunde schafften es dann jedoch nur wenige Auserwählte und es wurde erforscht, welche Bandkonstellation am besten passt oder anders gesagt: welche Hexen in die WG einziehen durften.
Von Liebeszaubern und anderen Wissenschaften
Denn die drei Figuren des Stücks (Maren Becker, Otto(line) Calmeijer-Meijburg, Yasmin Fahbod) verbindet nicht nur die Tatsache, dass sie Hexen sind und Instrumente spielen (Gitarre, Bass, Schlagzeug), sie wohnen auch zusammen in einer Wohngemeinschaft, „denn mit dem Wohnraum ist es nicht so einfach“, wie es im Ankündigungstext heißt. Dass sich STERNA|PAU mit dem Projekt in die Welt der Magie begibt, beruht auch auf persönlichen Interessen. Uhlig hat sich bereits als Teenager mit dem Thema beschäftigt: „Ich hatte so ein Buch mit Zaubersprüchen und Liebeszaubern und fand das super spannend! Ich weiß noch, wie ich als Kind im Garten war, Pflanzen zermatscht und daraus Zaubertinkturen gemacht habe. In den letzten Jahren war für mich ein großes Thema, dass ich mich viel im universitären Kontext bewege und mir dadurch die Spiritualität abhandengekommen ist und ich mich immer häufiger gefragt habe: Ist denn immer alles so nüchtern und objektiv zu erfassen?“ Auch Pföhler habe sich über die Universität, über feministische Literatur, Queer Theory und Wissenschaftstheorie mit dem Ideal von der objektiven Wissenschaft auseinandergesetzt: „Ich bin großer Fan von Empirie und den modernen Wissenschaften, aber es wird immer so eine Hierarchie aufgemacht und alternative Wissensformen belächelt. Ich glaube, das hat vor allem patriarchale und koloniale Hintergründe. In diesem Kontext habe ich mich viel mit Hexen und Magie beschäftigt und gemerkt, dass es mich nicht nur theoretisch sehr interessiert, sondern ich mich auch persönlich mit dem Thema verbinden kann.“ Dass nun dieses Themenfeld ausgerechnet mit dem Musikgenre des Punks verbunden wird, scheint zunächst sehr unkonventionell – schließlich ist der Punk der 80er nicht gerade für Themen wie Spiritualität und Gefühlswelten bekannt und wird zudem eher über cis-männliche Blickwinkel transportiert. Doch das, so erklärt Maren Becker, sei eben nicht immer so gewesen: „Der Ursprung des Punks, bevor er in den 70ern und 80ern von Cis-Männern dominiert und in den 90ern wieder aufgebrochen wurde, war auch total queer-feministisch geprägt. Es gibt da einige Bands, die viel offenere und fragilere Songs geschrieben haben und nicht nur das typische Gitarrenbrett auf die Bühne bringen.“
Es ist okay, unsicher zu sein
Genau diese Art der Songs seien schließlich auch Inspirationen für die Kompositionen von „the hex pistols“ gewesen. Es gehe dabei um die Vielfalt von Punk: „Wir haben geguckt: Was gibt es für unterschiedliche Subgenres von Punk? Der Song ‚I love Punk‘ ist zum Beispiel an The Slits orientiert und der ‚Dildo-Song‘ erinnert an WIZO. Auch wenn ich deren Musik aus heutiger Sicht richtig schrecklich finde, hatte ich als Teenager eine große WIZO-Phase. Andere Songs gehen eher in Richtung Doom, also eher in Richtung Metal.“ Vor allem von Männern komme häufig ironischerweise die Rückmeldung, der Musik fehle der Punk. „Aber was ist denn überhaupt Punk?“, fragt Becker sich, „für uns ist vor allem die Haltung wichtig von: Ich mach’s halt einfach. Und ich mache es auch, wenn es unperfekt ist und Hänger und Taktverdreher gibt. Sich das anzueignen, ist bereits ein Protest gegen diese Männer-Punk-Szene.“ Sich Fehler zu erlauben und dem Perfektionszwang zu widersetzen ist in der Kunstszene gar nicht so einfach, doch gerade das sei für ihre Performance so wichtig, erklärt Uhlig: „Wir wollten eben nicht so ein Image kreieren, dass wir die Instrumente nicht kennen, erst lernen und dann aber total selbstsicher auf der Bühne stehen und behaupten, dass wir Profis sind. Wir haben die Performer*innen immer wieder bestärkt: Wir wollen nicht so eine männliche Punk-Attitüde von euch. Es ist okay, unsicher zu sein und Fehler zu machen.“ Pföhler erkennt in dieser selbstsicheren männlichen Inszenierung auch viele Parallelen zum postdramatischen Theater: „Ich sehe da oft diese Haltung von ‚I don’t give a fuck‘. Und diese distanzierte Art von Inszenierungen gibt mir meistens nicht viel, damit kann ich mich nicht identifizieren, denn ‚I give a fuck‘“. Das sei vor allem für ihr junges Publikum ein extrem wichtiger Punkt. „Klar scheißen wir schon auch auf Dinge. Aber wir scheißen auf Sachen, die uns institutionell aufgedrückt werden oder strukturelle Unterdrückungsformen oder wenn die Polizisten an der Tür klopfen. Aber wir scheißen nicht darauf, was auf der Bühne passiert und im Publikum untereinander. Das ist alles sehr wichtig.“
Denn es gehe gerade bei jungem Publikum vor allem um Formen von Identifikation. Dass drei FLINTA*-Personen auf einer Bühne stünden und laut Gitarre spielen, sei schon cool, findet Becker, die selbst bei der Performance mitmacht: „Nur was man gesehen hat, kann man für sich imaginieren. Hätte ich so etwas als Jugendliche gesehen, hätte ich vielleicht viel früher Musik gemacht.“
Doch mit ihrer Arbeit wollen die drei Theatermacherinnen nicht nur mit dem Perfektionismus auf, sondern auch hinter der Bühne brechen, nicht nur heteronormative Perspektiven, sondern auch gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen infrage stellen. Ihr Ziel ist es, eine neue Arbeitsweise zu etablieren, die die mentale Gesundheit in den Mittelpunkt stellt. So wollen sie zum Beispiel das Narrativ dekonstruieren, dass jede Produktion auch eine „große Krise“ brauche, der zermürbende emotionale Stress also dazugehöre. Die Frage, die sich STERNA|PAU dabei stellt: „Wie können wir einen Rahmen schaffen, dass nicht alle in der Endprobenphase zusammenbrechen oder nach einer Premiere in ein tiefes schwarzes Loch fallen und erstmal zwei Wochen nicht klarkommen?“ Das Kollektiv reagiert darauf mit feststehenden Ritualen, so zum Beispiel mit Zusammentreffen, in denen man sich über die aktuellen Gefühle austausche: Wie geht es dem anderen? Funktioniert der Umfang der Arbeit gerade für alle? So könne man Konflikte aus dem Weg räumen, anstatt sie mit in die Proben zu nehmen. Die eigenen Grenzen im Blick zu haben, sei dabei sehr wichtig: Wenn jemand ausfällt, heißt das einfach, dass Sachen manchmal nicht passieren. Und das muss okay sein. Denn die Frage ist immer: auf wessen Kosten?“ Allein diese Haltung zeigt doch: Punk bedeutet Auflehnung, geht auch ohne laute Gitarrenriffs und ist manchmal vor allem abseits der Bühne von größter Bedeutung.