Interior Design des Ichs

Mit ihrer szenischen Rauminstallation „Das Außen in uns“ macht Regisseurin Marlene Hildebrand die Psyche eines Mannes begehbar und spürt so einer Innenwelt zwischen Traum und Realität nach.
Was ist es, das uns tief im Innern bewegt? Zu welchen Teilen unseres Selbst finden wir einen Zugang? Und welche bleiben verschlossen, weil wir sie nicht öffnen können – nicht öffnen wollen? All diesen Fragen spürt das Publikum bei „Das Außen in uns“ im Weltkunstzimmer in Düsseldorf nach. Gemeinsam mit dem Protagonisten durchstreifen wir verschiedene Räume, in denen die Gefühle der Hauptfigur erlebbar und mögliche Antworten erkennbar werden. Die Art der Inszenierung ruft bei mir Erinnerungen an die Raumtheorie des Literaturwissenschaftlers Juri Lotmann wach. Er versteht Räume in der Literatur als semantisch aufgeladene Orte, die in Gegensätze aufgeteilt sind: in oben und unten, in Vergangenheit und Gegenwart oder eben in Außen und Innen. Nur dem Helden, so Lotmann, könne es gelingen, diese Gegensätze zu überwinden. Und ebendies versucht der Mann, dem wir heute Abend folgen: Er bereist die Zwischenräume seiner Erinnerung, um inmitten der Grenzen von Außen und Innen die eine Frau zu finden, die sich zunehmend in sein Bewusstsein drängt.
Schon als wir noch im kühlen Foyer sitzen, huscht dieser Mann (Philipp Alfons Heitmann) in legerer Kleidung, Sneaker, Mantel und Beanie an uns vorbei, fragt, ob wir eine Frau mit langen braunen Haaren gesehen hätten. Geschäftig bahnt er sich den Weg in den ersten Raum, das Publikum folgt und ist plötzlich Teil seiner Geschichte und Gefühlswelt. Von der Decke hängen zahlreiche Pakete, angeordnet in Schwärmen, wie beim Fallen eingefroren. Irritiert inspiziert der Mann seine Umgebung auf der Suche nach der mysteriösen Frau. Diese erscheint plötzlich mit schwarzer Kurzhaarperücke hinter einem Paket, nur um einen Augenschlag später wieder zu verschwinden (Phaedra Pisimisi). Ein Telefon klingelt, eine Uhr tickt, der Mann eilt ihr hinterher. Als wir ihm folgen, entsteht eine nervöse Atmosphäre des Dazwischenseins, untermalt von vorsichtig fragenden elektronischen Beats (Matts Johan Leenders).

© Marlene Hildebrand
In den kühlen Gemäuern des Weltkunstzimmers eröffnen sich über sechzig Minuten unterschiedliche Gefühlswelten. So finden wir uns als nächstes an einem dunklen Ort wieder. Der Putz bröckelt, auf dem Boden liegt zertretenes Popcorn. Hier erscheint eine weitere mysteriöse Figur: Ein Mann in Seidenpyjama und Gummistiefeln, das Gesicht von einer Schweißermaske bedeckt (Jochen Moser): „Ich habe lange auf dich gewartet“, begrüßt er die Hauptfigur. Fortan tritt diese Kreatur als nebulöser Dialogpartner auf, als Stimme des Unterbewussten? Als fantastisch-reale Figuration der Psyche? Oder doch als innerer Life-Coach? Was sie auch sein mag, immer wieder stellt sie wesentliche Fragen, lockt den Mann aus der Reserve: „Ich bin zufrieden, so wie es ist“, behauptet dieser. Doch seine Körpersprache erzählt das Gegenteil.
Sei es auf der Suche nach der Frau oder der Flucht vor sich selbst – er bewegt sich weiter durch die Gemäuer in ein anderes Zimmer, in dem ihn sechs stilisierte Schaufensterpuppen erwarten. Weiße Farbgebung und blaues Licht erzeugen eine distanzierte Atmosphäre, welche die Beziehungsthematik an diesem Ort aufgreift: „Ich wusste genau, mit welchen Frauen ich schlafen sollte“, insistiert der Mann und übersieht zwischen den regungslosen Büsten die geheimnisvolle Frau. Als lebendige Puppe posiert sie hier und reiht sich so in die weibliche Projektionsriege ein während er in Selbstmitleid versinkt: „Vielleicht bin ich eine Bushaltestelle. Ein kurzes Gespräch, bis die Leute weiterfahren“.

© Marlene Hildebrand
Leere Pakete, ausgeschüttetes Popcorn, dazu die nackten Schaufensterpuppen: Alles hier wirkt wie die Antiklimax eines konsum- und unterhaltungssüchtigen Lebens der Postmoderne, überstimuliert durch das Außen, das den Zugang zum Innern verwehrt. Der Mann versucht den eigenen Unsicherheiten mit lauter Gegenwehr zu begegnen. Dass dies nicht funktionieren kann, muss er schließlich vom Schweißer-Wesen erfahren: „Deine Leere existiert, weil du nicht den Mut hast, sie mit etwas zu füllen. Du hörst auf zu tanzen.“
Anders die Frau. Sie tanzt im nächsten Raum, den wir über eine schmale Treppe begehen. Von der Decke hängen große Bahnen aus Plastikfolie. Ihre fließenden, weichen Bewegungen sind dahinter nur schemenhaft zu vernehmen. Sie bleibt hinter der Folie, verheddert sich zwischendurch wie ein Tier in der Falle, so werden besonders eindrücklich die Grenzen von Realität und Erinnerung, von Traum und Wachzustand verwischt. Die verschwommene Silhouette und elektronische Beats sorgen für rauschhaftes Empfinden. Erst als der Mann zu ihr stößt, gelingt es ihm, die Grenzen zu durchbrechen, die Folien herunterzureißen, die Frau, den Traum, die Erinnerung einzufangen – bevor sie endgültig verschwindet. „Du hast eine Idee geliebt“, kommentiert die Unbekannte noch, bevor sie sich abwendet.
Das Ende kommt unerwartet und etwas abrupt. Gerne wäre ich noch tiefer eingetaucht, sowohl in die Inszenierungsidee als auch in die Hinterkammer der Psyche. Was bleibt, ist die beklemmende Ahnung von verleugneten Gefühlen. Und gewiss atmen wir in diesem Moment ganz unterschiedliche, unsichtbare Erinnerungen der Personen neben uns.