Portrait 24.11.2022

„Jeder ist Experte der eigenen Bewegung“

Liebe ist ... PRIME! / Silke Z. und die metabolisten
© Claudia Grünig

Silke Z. ergründet mit ihrem diversen Ensemble DIE METABOLISTEN den „empathischen Körper“. Seit mehr als zwanzig Jahren arbeitet die Kölnerin mit Profitänzer*innen und Laien, intergenerativ und inklusiv. Aktuell geht es um die Liebe, um Castingshows und immer wieder um das Miteinander.

Schon bevor das Publikum von „Liebe ist… PRIME!“ die ehrenfeldstudios betritt, begegnet es im Hof Performer*innen. Kerzen brennen, Daniela Riebesam schaukelt, auf dem Dach spielt Dennis Alexander Schmitz Gitarre. Wie eine Markierung, dass nun ein anderer Raum betreten wird. Annika Bode beginnt vom Dach zu sprechen: „Liebe ist… ein Narzisst, der Schönste von allen… An die Bedeutung der eigenen Beiträge glauben. Nein, ich möchte noch nicht übers Kinderkriegen nachdenken… Empathie, aber sich selbst als oberste Priorität setzen.“ Ein poetischer Text, den sie selbst aus den Texten aller Performer*innen über Liebe erarbeitet hat.

„Liebe ist… PRIME!” ist Vol. 2 aus der Reihe „Der empathische Körper“, die Silke Z. mit den METABOLISTEN, ihrem intergenerationellen Ensemble, von 2020 bis 2023 erarbeitet. In Vol. 2 geht es um die Liebe mit all ihren Facetten. Das Publikum bewegt sich durch mehrere Räume, in denen performt wird und Videos laufen. Jede*r entscheidet, wie lange er oder sie einer Szene folgen möchte, denn – das wird uns beim Eintreten gesagt – „Nein heißt Nein“. Ein wichtiger Satz, in der Liebe sowieso. Die Arbeit an dem Stück hat in der Corona-Pandemie begonnen, Ausgangspunkte waren Filme der METABOLISTEN, die sie darüber gemacht haben, was für sie Liebe bedeutet.

© Claudia Grünig

Wir sehen einen Tanz mit dem eigenen Schatten, er beginnt aus der Selbstumarmung heraus. Wir können sehr intimen Momenten beiwohnen, zum Beispiel zwei jungen Performerinnen, die am Ende ihrer Tanzszene mit dem Rücken auf der Sitzfläche einer Couch liegen und die Köpfe herunterhängen lassen, sie beginnen gemeinsam zu giggeln, wie Jugendliche, die sich gerade über ihren Schwarm unterhalten haben.

Auch beinahe bildnerische Momente ereignen sich in einem projizierten Video, als eine Performerin mit Verband um den Kopf beginnt, Blumen in diesen Verband zu stecken. Plötzlich sieht sie aus wie ein Frida Kahlo-Gemälde, das uns sagen will, dass Liebe die schönsten Wunden schlägt. Es wird auch ernst, wenn wir etwas über die Auswirkungen von Hasskommentaren im Internet hören, während sich die Performerinnen förmlich verbiegen. Um dazuzugehören? Um ins Bild zu passen? Lustig wird es, wenn der Gangnam Style zu „Lass es Liebe sein“ von Rosenstolz getanzt wird. Manchmal sind die Wechsel schnell, auf eine lustige Szene folgt eine poetische. Es ist ein komplexes Stück, das alle Emotionen berührt, ohne ins Kitschige abzudriften, obwohl das Thema dazu einladen würde.

Austausch auf Augenhöhe

Ich spreche mit Silke Z. und der Tänzerin Caroline Simon über Zoom. Silke Z. ist etwas erkältet und in einen Schal gewickelt, sie spricht versiert über ihre Kunst und Interessen. Caroline Simon hat eine sehr lebendige Mimik, Reaktionen zu Gesagtem kann ich direkt in ihrem Gesicht ablesen. Sie teilt mit mir Eindrücke aus ihrer langjährigen Zusammenarbeit mit Silke Z.

© Silke Z.

Silke Z. hat ein Sportstudium abgeschlossen, bevor sie am European Dance Development Center in Arnheim und am Moving On Center in San Francisco Tanz studierte. Nun arbeitet sie seit mehr als zwanzig Jahren als freie Choreografin unter dem Label Silke Z./resistdance und als Gründerin und Leiterin des Ensembles DIE METABOLISTEN in Köln. Dort ist sie mit anderen Kompanien und Künstler*innen in den ehrenfeldstudios beheimatet. Metabolismus bezeichnet in der Medizin oder Biologie eine Art von Stoffwechsel, so versteht das Ensemble die eigene Arbeit: Sie greifen etwas auf, nehmen sich einem Thema an und verstoffwechseln es zu einem Stück. Die Mitglieder der METABOLISTEN sind Profitänzer*innen und Laien unterschiedlichen Alters, auch ein Tänzer mit Downsyndrom gehört dem Ensemble an. Jede und jeder hat unterschiedliche Expertisen und braucht an anderen Stellen etwas Unterstützung oder Anlaufzeit, das ist menschlich. Der Austausch auf Augenhöhe ist essenziell für die Arbeit von Silke Z.

Anfang der 2000er, direkt nach ihrer Tanzausbildung, hat Caroline Simon zum ersten Mal mit Silke Z. gearbeitet. Da war sie „das Küken“ unter den Tänzer*innen, bei „Liebe ist… PRIME!“ war sie die Älteste in der Produktion. Sie ist immer dabeigeblieben und sagt: „Eigentlich war die Arbeit immer intergenerationell und wir als Ensemble haben das auch nie in Frage gestellt. Es war immer klar, dass sich das befruchtet. Die Alten lernen von den Jungen und umgekehrt und die Profis lernen etwas von den Laien.“ Diesen Ansatz verfolgt Silke Z. also nicht, weil es gerade Trend ist, sondern weil sie es immer als stimmig und richtig empfunden hat. Auch das Dramaturgieteam für „Liebe ist… PRIME!“ war intergenerativ, da man mit Mitte vierzig eben doch oft daneben liegt, wenn man Annahmen darüber äußert, was die junge Generation so gut findet oder tut.

„Jeder ist Experte der eigenen Bewegung“, sagt Silke Z. Es interessiert sie, die Punkte zu finden, an denen jede*r an die eigenen Grenzen stößt und ans Arbeiten kommt. Manchmal stellt sie unmögliche Aufgaben, damit der Körper Routinen durchbricht und ganz neue Bewegungen entwickelt. Diese Arbeit live mitzuerleben hat eine andere Wirkung auf das Publikum, als vorgefertigtes, häufig geübtes Material zu zeigen. Ihre Expertise erlaubt ihr, mit einem so diversen Ensemble zu arbeiten und niemanden zurückzulassen oder auszustellen. Es ist wahrnehmbar, dass alle sich wohlfühlen mit dem, was sie auf der Bühne tun. Aber es sei natürlich auch Arbeit, die Punkte zu finden, an denen jede*r mal glänzen kann, sagt Silke Z.

Kampf um Aufmerksamkeit

Mittlerweile haben sie bereits die Premiere des dritten Teils der Reihe „Der empathische Körper“ gefeiert. In „Deine Wahl“ nimmt das Publikum an einer Castingshow teil. Die Tänzer*innen zeigen Solos und kämpfen um Aufmerksamkeit und die Stimmen des Publikums. Das Format kollabiert, als die Menschen auf der Bühne beginnen, sich füreinander zu interessieren. Sie entdecken ihre Empathie füreinander und entziehen sich dem Hamsterrad, in dem sie vorher steckten, ohne links und rechts zu schauen. Das Ensemble erreichte das Feedback von manchen, die sich ertappt fühlten, als die Show abbrach, weil sie sich ganz auf das Mitfiebern und Voten eingelassen hatten. Auf der anderen Seite gab es aber auch einige, denen genau dieses Vergleichen und jemanden Rauswählen von Anfang an ein Dorn im Auge war.

Für die nächsten Jahre hat Silke Z. mit den METABOLISTEN eine Reihe mit dem Namen „Intakt – vom Zustand diverser Erschöpfung“ geplant. Die Konzeptionsförderung des Landes NRW haben sie dafür nicht erhalten. „Wir müssen jetzt ein bisschen kämpfen, aber wir sind sehr willens zu kämpfen,“ sagt Silke Z. In der Reihe soll es darum gehen, wie intakt oder im Takt unsere Gesellschaft noch ist. Hat sich am Miteinander etwas verändert über die zwei Jahre Corona? Gesellschaftliche Dynamiken sollen untersucht und Takte entdeckt werden. Auch im öffentlichen Raum mit Passant*innen soll generationsspezifisch geforscht werden. Im Stadtraum und auf der Bühne soll es zu Aufführungen kommen. 2024 plant Silke Z. ein Stück, in dem sie mit den METABOLISTEN in Schubladendenken eintaucht. Was bedeutet es, einer bestimmten Generation anzugehören? Ein Boomer oder Millennial zu sein? 2025 wird es ums Kooperieren zwischen den Generationen gehen, denn zum Intakt-sein gehört das Miteinander – und das ist ihr großes Anliegen in der künstlerischen Arbeit, deshalb will Silke Z. in Zukunft den künstlerischen Produktionsprozess auch noch weiter öffnen, noch mehr Perspektiven zulassen.

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Judith Ayuso Pereira
Judith Ayuso Pereira
ist Philologin und Tanzwissenschaftlerin. Sie arbeitet als freischaffende Dramaturgin, Autorin und Vermittlerin und lebt im Ruhrgebiet.