Kritik 09.09.2022

Kassandra im Bierzelt

schlammland gewalt / movingtheatre.de
© André Lehnert

Bierzeltluft, Brathendl und Blasmusik: In dieser Atmosphäre spielt das Stück „schlammland gewalt“ von Autor Ferdinand Schmalz. movingtheatre.de bringt den Text mit wenigen, dafür aber geschickt eingesetzten theatralen Mitteln, auf die Bühne.

Wie ein geschlagener König nach der Schlacht sitzt er da, thronend auf ein paar leeren Bierkästen. Der Körper bedeckt vom braunen Schlamm, eingewickelt in eine goldglänzende Rettungsdecke. Bevor der Hendlbrater (österreichisches Idiom für den Mann am Brathähnchenstand) beginnt, die Geschichte des Unglücks zu erzählen, das über das Dorf hereinbrach, wird er zum Sprachrohr dumpfer Ressentiments: Man lasse sich seinen „Winnetou“ nicht verbieten und werde auch künftig „Mohrenköpfe“ und „Zigeunersoße“ verspeisen. Solchermaßen eingeführt  in dörfliches Denken, übernehmen die „Alten weißen Männer“ bei der anstehenden Bierzelt-Gaudi wie gewohnt das Kommando und „schlammland gewalt“ nimmt seinen Lauf – erzählt aus der Perspektive eben jenes Hendlbraters.

Der sprachmächtige Text des Bachmann-Preisträgers Ferdinand Schmalz kommt wie ein langes Gedicht daher: Voll eindringlicher, brachialer Sprachbilder und trockenem, tragikomischem Humor, zugleich angereichert mit typischen Austriazismen, die das Publikum in die österreichische Bergwelt entführen. Thomas Hupfer, vom Kollektiv movingtheatre.de aus Köln, spielt den brathendlbratenden Beobachter, schlüpft aber auch in die Rollen der anderen Männer und ist gleichzeitig auch für Regie und Ausstattung der gelungenen Inszenierung verantwortlich. Eine kraftvolle, kurzweilige Performance, die in gerade einmal 70 Minuten eine ganze Welt heraufbeschwört und untergehen lässt.

schlammland gewalt / movingtheatre.de

© André Lehnert

Für den Untergang tragen gleich zwei Testosteron-Deppen die Verantwortung: „Der Zeiringer“, der im Dorf das Sagen hat, und sein Kettenhund, „der Schauersberger“, lassen nicht zu, dass die Dorfordnung, die doch ihre Macht zementiert, durch demokratische Anwandlungen ins Wanken gebracht wird. Das bekommt auch die („Kas“)-Sandra zu spüren. Die vermag die meteorologischen Menetekel zu deuten, die von der Natur in Form eines bedrohlichen Dauerregens angekündigt werden. Warnungen der „Weibsbilder“ treffen auf brutale Antworten des Patriarchats: Unter dem Gejohle der Bierzeltburschen stopft der Handlanger des Zeiringers, der Schauersberger, Sandra mit einem fetttriefenden Hendl das Maul. Weil die Männer aber in der aufgeputschten Stimmung des Festzelts vor lauter Demonstration der eigenen Macht den Überblick verlieren, entwickelt sich am Rande Ungeheuerliches. Toni, der einzige Sohn und Thronerbe des Patriarchen, der ohnehin nach seiner missglückten Flucht zur Universität in die Stadt beim Vater in Ungnade gefallen ist, stiehlt sich aus dem Zelt. Dass er draußen ausgerechnet der geächteten Prophetin Trost und mehr anbietet, schlägt für den Zeiringer dem Bierfass den Boden aus. Auch die frustrierte Frau des Schauersberger sucht amouröse Ablenkung vom dumpfen Festzelttreiben und findet diese in den Armen des schelmischen Beobachters am Brathendlstand. Bald schaukelt der Kühlwagen samt nackter Hühnerhälften im verdächtigen Rhythmus. Doch noch während das Strafgericht der vom Sohn und der Ehefrau enttäuschten, mächtigen Männer waltet, schlägt die Natur zu: Der Regen, der schon rings um das Bierzelt den Boden in ein Schlammland verwandelt hat, lässt eine Lawine aus Dreck und Geröll auf das groteske Treiben der Festgemeinde niedersausen. Ein Strafgericht von biblischen Ausmaß, das die Chance eröffnet auf einen Neuanfang?

 

Mit wenigen, dafür aber geschickt eingesetzten theatralen Mitteln, breitet Thomas Hupfer diese wunderbare Moritat vor den Zuschauer*innen aus. Eine dunkle Sonnenbrille genügt und aus dem schelmischen Beobachter wird ein protziger Kerl der Marke Andreas Gabalier. Und ein kleines Bassin, in das Thomas Hupfer eintaucht, lässt die Kraft der Naturgewalten lebendig werden. Drastisch und sehr physisch ist sein Spiel und passt damit perfekt zu dem Tonfall des Textes, der poetische Spielwiese ist und akribische Gesellschaftsanalyse gleichermaßen bietet. In dieser gelungenen Verbindung ganz in der Tradition der alpenländischen Literatur stehend: „Kasimir und Karoline“ von Ödön von Horváth lassen hier ebenso grüßen wie „Der Knochenmann“ von Wolf Haas. Auch die Bierzelttypische musikalische Untermalung darf nicht fehlen. Nur dass Thomas Hupfer hier mit seiner gelungenen Interpretation von „Hupf´in Gatsch“ einen ironischen Gassenhauer von Georg Danzer in die Bierzelt-Atmosphäre schmuggelt. Im Hintergrund des subtil gestalteten Bühnenbilds hängt derweil ein weißer Cowboy-Anzug als Symbol für den Machtanspruch der Männer. Er wird noch gegen Ende für eine bittere Schlusspointe sorgen.

Ohnehin bleibt den Zuschauer*innen das Lachen immer wieder im Halse stecken. Wie es sich gehört für solch ein sumpfiges Szenario, bei dem sich Gerechtigkeit und Gewalt ein groteskes Duell liefern, bleibt der Ausgang ungewiss. Anders als die Reaktion des Publikums, das Thomas Hupfer nach seiner eindrucksvollen Tour de Force mit großem Applaus überschüttet.

Genre

Performance, Schauspiel

Kommentare

Norbert Raffelsiefen
Norbert Raffelsiefen
hat in Köln Theaterwissenschaft studiert, als das Fach noch Theater-Film- und Fernsehwissenschaft hieß. Neben kritik-gestalten schreibt er u.a. für den Kölner Stadtanzeiger und ist Jurymitglied des Kölner Theaterpreises.