Kritik 28.12.2022

Minimalistische Klanglandschaften

Movement / Lea Letzel
© Frederike Wetzels

Lea Letzels szenisches Konzert „Movement“ in der Theaterhalle des Clouth 104 in Köln ist eher eine filigrane, interdisziplinäre Klang-Installation als ein Theaterstück. Zwei Streicherinnen interagieren mit sich selbst, Lichtröhren, Spiegelwänden, Elektronik und ihren Instrumenten.

Eine Geigerin (Akiko Ahrendt) und eine Bratschistin (Annegret Mayer-Lindenberg), leger bekleidet mit Jeans und blauen Pullis, stehen in zwei Ecken der Mehrzweckhalle. Kraftvoll durchdringen die Instrumente den Raum, ein einziger Ton wie das Brummen einer Hummel. Langsam drehen sich die Streicherinnen um die eigene Achse, mischen sich sphärische Stimmen von Florian Zwißlers Elektronikpult hinein, der am Bühnenrand sitzt und Töne hineinmischt. Immer wieder pausieren, zupfen, knirschen die Instrumente, legt sich eine melancholische, zarte Streicherstimme darüber, entsteht eine filigrane Klangwelt, während die Musikerinnen aufeinander zugehen, sich entfernen, parallel auf Linie in der Halle stehen. Wenn man eine Geschichte, Dramaturgie, Text erwartet, muss man sich zurücknehmen, eher meditativ darauf einlassen, wie der Ton durch die Ecken pulsiert, durch den Raum wabert, schwebt, mäandert, fast unauffällig die Tonlagen verändert.

Movement / Lea Letzel

© Frederike Wetzels

Ein minimalistisches Bewegungskonzert

Auch die Halle ist kein herkömmliches Theater, sondern der „Event-Space“ des Clouth-Geländes, ein neues Stadtquartier im Kölner Stadtteil Nippes, in dem rund 1200 Wohnungen auf dem Areal einer alten Gummiwarenfabrik gebaut worden sind – durchaus mit Betonung auf Kunst und Kultur. Ateliers und Ausstellungsräume sind hier entstanden, Denkmalschutz spielte eine große Rolle, um den Industriecharme des Geländes zu erhalten. Als Bühne ist sie bisher kaum genutzt worden in der Kölner Freien Theaterszene, doch an diesem Adventssonntag blicken auch Passanten durch die Scheibe oder kommen sogar herein. Auch die gut halbstündige Aufführung von „Movement“ erinnert nur von Ferne an ein Theaterstück, ist eher ein minimalistisches Bewegungskonzert, über kleine Bewegungen werden Volumen und Dichte erzeugt.

Irgendwann schieben die Geigerinnen zwei Spiegelwände zusammen, die den Raum neu aufteilen, sie selbst verdoppeln, manchmal verdreifachen, gezogen von unsichtbarer Hand. Es flirrt, zirpt, die Wände verschieben sich langsam oder schnell, gezogen von einer Musikerin, ziehen große oder kleine Kreise, der Ton erhebt sich sirenenartig, die Choreographie (Katja Cheraneva) aus Klang, Raum, Spiegelwand, elektronischer Verstärkung entwickelt Kraft, verhallt, wird kleiner, länger, aufgeregt, dann wieder ganz meditativ.

Am Schluss interagieren die Streicherinnen mit neun an der Hallenwand angebrachten, blinkenden Neonröhren, die Streichbögen spiegeln die Lichtstriche. Sie geigen waagerecht oder senkrecht, kippen ihre Körper oder Instrumente als Teil einer großen Maschine, ein Räderwerk der Kunst. „Movement“ erinnert vom Klang her an Steve Reich-artigen Minimalismus, vom Aufbau her an eine Kunst-Klang-Installation, die sich fast unmerklich verändert. Man möchte sie eher im Liegen oder Stehen hören, hindurchschreiten, selbst aktiv werden, wird zuweilen ganz ungeduldig, weil „nur“ Kleinstes passiert.

Movement / Lea Letzel

© Frederike Wetzels

Zwischen Klang, Bewegung und Raum

Die Medienkünstlerin und Regisseurin Lea Letzel hat an der Kölner Kunsthochschule für Medien sowie Angewandte Theaterwissenschaften in Gießen studiert (und noch eine Ausbildung zur Pyrotechnikerin gemacht). Ihre Arbeiten erforschen die Beziehungen zwischen Klang, Bewegung und Raum. Und obwohl „Movement“ daherkommt wie ein Konzert, die Musik die Halle flutet, umtost, zur Ruhe kommen lässt und als durchdringender Signalton wieder aufstört, gibt es keine Geschichte, keine „Komposition“ im herkömmlichen Sinne: „Wir arbeiten eher wie eine Band zusammen, die Proben laufen ab wie im Theater“, erzählt Lea Letzel am nächsten Tag am Telefon. Es sei eine Improvisation nach strengem Regelwerk, einige Elemente seien gesetzt, andere frei. Die Künstlerin liebt solche Grenzüberschreitungen, hat auch schon in den Abenteuerhallen Kalk mit Skateboards, mit Feuerwerksperformances oder Turngeräten experimentiert, forscht in Grenzbereichen der Wahrnehmung – verlangt ihrem Publikum aber auch einiges ab an Konzentration und Beharrungsvermögen. Eines ihrer letzten Projekte hat Lea Letzel nach Japan geführt, zusammen mit der Organistin Jun Sagawa– die Orgel ist ein in Japan eher ungewöhnliches Instrument – erforscht sie in „Kame-Nozoki“ das Prinzip des hellsten Indigo-Blaus, jener hauchzarte Farbton, der entsteht, wenn die Indigopflanze bei der Färbung auf das Textil trifft. Sich diesen kaum wahrnehmbaren, fließenden Vorgang als Klang vorzustellen – das beschreibt wohl am besten die filigrane, interdisziplinäre Kunst von Lea Letzel.

Genre

Installation, Konzert, Performance

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Dorothea Marcus
Dorothea Marcus
ist freiberufliche Kulturjournalistin und Theaterkritikerin u.a. für DLF, WDR, Theater heute und nachtkritik.de. 2016-2019 war sie Mitglied der Jury des Berliner Theatertreffens. Sie moderiert Podiumsdiskussionen, gibt Lehrveranstaltungen und ist Mitgründerin von kritik-gestalten.