Kritik 20.11.2022

Ode an die Dinge

THESE ARE A FEW OF MY FAVORITE THINGS / äöü
© Talisa Frenschkowski

Wir alle besitzen eine Unmenge an Dingen. Aber was bedeuten sie uns? Brauchen wir all diese Dinge wirklich? Und wie fühlen wir uns, wenn wir etwas verlieren, was uns wirklich am Herzen lag? Mit „These are a few of my favorite things“ geht das Theater- und Performancekollektiv äöü auf die Suche nach Antworten.

Es ist dunkel, Dinge gehen einem durch den Kopf. Das Licht vom Notausgang-Schild lässt Konturen eines Dings auf der Bühne erkennen, es rauscht. Eine innere Stimme schleicht sich ins Bewusstsein, formt andere Dinge vor dem inneren Auge, Dinge, die man besitzt, verloren oder auf der Straße gefunden hat. Auch das rauschende Ding auf der Bühne nimmt immer mehr Gestalt an. Im Zentrum ein Brunnen als Mittelpunkt eines Kurorts, der zur Erholung in einer Welt des Materialismus einlädt. Aus einem langen Stab entweicht Dampf. Wie die vielen Assoziationen im Kopf wirbelt der gasförmige Stoff in der Luft, senkt sich ab und nimmt eine andere Form an: wird zu Wassertropfen auf dem Beckenrand des Solebrunnens.

THESE ARE A FEW OF MY FAVORITE THINGS / äöü

© Sina Ahlers

Das Theater- und Performancekollektiv äöü, bestehend aus Patricia Bechtold und Johannes Karl, sieht seine größte Inspirationsquelle im Alltag. 2018 gegründet, erforscht das Duo beispielsweise die Farbe beige in einer interaktiven Fotoinstallation oder untersucht in postdramatischer Theatermanier die Wirkungsmacht des Haustaubs. Dabei erschaffen sie mit humorvoller Ernsthaftigkeit immer wieder sinnlich-abstrakte Erzählräume. „These are a few of my favorite things“ etabliert, entgegen der Erwartungen, einen minimalistischen Ort mit dem Potential einer assoziativen Fülle. Verhandelt wird sowohl die Materialität von Dingen als auch ihre Entwicklungsgeschichte vom Stein bis zur Elektrizität, vor allem aber geht es um ihre Beziehung zum Menschen.

Vier Performer*innen ziehen in weißen Bademänteln in den Kurort ein: Sarah Wessels nackte Füße tapsen über den Boden, später wird sie vom kondensierten Wasser Fußabdrücke im Raum verteilen. Ihr Bademantel etabliert einen Ort der Entspannung. Im starken Kontrast zu diesem Bild stellt sich die Atmosphäre eines Verhörs ein, bei dem sie von Dingen berichtet, die sie heute schon berührt hat. Durch die wahllos erscheinende Aneinanderreihung von Wortketten lassen sich Handlungsabläufe rekonstruieren. Johannes Karl steigt mit ein und die Worte vermischen sich zu einem Duett der Dinge. Umso länger der Sprechgesang anhält, umso mehr kreieren die Dinge eine stabile Persönlichkeit. Bedürfnisse der Einzelnen werden hörbar, als würden die Dinge ihre Charaktere (ab)bilden.

Nahmen die vier Performer*innen bisher nicht direkt Bezug aufeinander, so vereint sie jetzt die Melodie des Musicals „The sound of music“. Der Gesang wird immer lauter und dann von einer Beschwerde unterbrochen: Eine Erinnerung, dass es sich um einen Ort der Ruhe handelt, an dem man sich erholen möchte. Umgeben von Leere entwickelte sich das friedliche Kinderlied zu einer Hymne des Entzugs von Materialität. Der Aufforderung nach Erholung folgend, legt sich die Materialismus-Detox-Gruppe in ikonographische Entspannungsposen um den Altar der Enthaltsamkeit. Einem heilenden Ritual gleich, bespielt Carlos Franke mit einem Violinbogen eine Säge, deren Klänge eine Sci-Fi-Meditation kreieren. So werden Dinge ihrer herkömmlichen Nutzung entzogen.

THESE ARE A FEW OF MY FAVORITE THINGS / äöü

© Talisa Frenschkowski

Aus ihren Trinkbechern das heilende Brunnenwasser schlürfend, verlässt die Kurgruppe den heiligen Ort für kurze Zeit, um sich für eine Veranstaltung im Kurdorf in bodenlangen Second-Hand-Kleidern rauszuputzen. Dabei singen sie romantische Balladen als Liebesbekundung gegenüber ihres liebsten Dings und lösen so eine Mischung aus unterhaltsamer Euphorie und reflektierender Melancholie aus. In einem Gefühlschaos zwischen der Verantwortung gegenüber Dingen, der Trauer über verlorene Dinge, der Enttäuschung über geschenkte und der Wut über kaputte Dinge, wird man sich der Beziehung zu den eigenen Gegenständen bewusst. Ein Prozess, der den Objekten, im Sinne des New Materialism, Handlungsmacht zuspricht.

So schafft äöü mit „These are a few of my favorite things“ einen temporären Raum der Konsumkritik, aber vor allem der Wertschätzung von Dingen. Nach der Aufführung wird der Brunnen zu einer begehbaren Installation, zum Monument der Reflexion. Das Rauschen im Kopf verbindet sich mit dem Rauschen des Heilwassers. Ein feiner Wasserfilm legt sich übers Gesicht und bleibt auch noch einige Stunden auf der Haut. Dieser Abend ist seine Kurtaxe wert.

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Thaddäus Maria Jungmann
Thaddäus Maria Jungmann
studierte Szenische Künste in Hildesheim sowie Musical in Osnabrück. Thaddäus lebt als freiberufliche*r Performer*in in Köln, wo Thaddäus sich momentan im Masterstudiengang Angewandte Tanzwissenschaft befindet. Neben kritik-gestalten schreibt Thaddäus für die Onlineplattform Tanznetz.