Playback im Paradies

Das Künstlerkollektiv HARTMANNMUELLER interpretiert mit „Eden – Die Stimmung war ganz gut bis zum Schluss“ die Genesis neu. Oder wird hier sogar erzählt, wie sie eigentlich war? Unsere Autorin verfolgte die Wiederaufnahme im Kunsthafen Rhenania in Köln und stellt fest: Die Stimmung war tatsächlich sehr gut, und das auch bis zum Schluss.
Inmitten der vier Säulen des großen Saals im Rhenania ist eine Fläche aus braunem und pinkem Rindenmulch aufgeschüttet. Gespickt ist dieser Garten Eden, oder auch „der Garten der Träume und der Liebe“, mit verschiedenfarbigen Gräsern und Sträuchern. Dreieckige weiße LED-Leuchten kommen als leuchtende Bühnenelemente zum Einsatz. Das Publikum sitzt um die Spielfläche herum, auf Sitzsäcken, Kissen oder Kartons. Wir sind aufgefordert, unsere Position im Raum während der Vorstellung zu wechseln, wenn uns danach ist.
Zu Beginn lernen wir Gott und Mutter Natur kennen. Gott ist eine körperlose männliche Erzählerstimme, die das Geschehen betrachtet und kommentiert. Mit seinem großväterlichen Tonfall erinnern seine Kommentare an die Erzählerstimme aus nachmittäglichen Zoosendungen wie „Eisbär, Affe und Co.“: beobachtend, aber dabei immer etwas zu aufdringlich – im Ankündigungstext simpel mit den Worten „Gott ist ein Spanner“ beschrieben. Daniel Ernesto Müller trägt als Mutter Natur eine lange pinke Perücke und einen pink gemusterten Anzug. Mutter Natur hat hier eine Vorliebe für Songtexte, alles, was sie sagt, setzt sich zusammen aus Zitaten bekannter Songs. Mit „Purple Rain“ oder „Quit playing Games with my heart“ werden die großen Hits der Popgeschichte zu Bestandteilen der Erzählung. Das ist sehr komisch und HARTMANNMUELLER schaffen es dennoch, ihr Monologe in den Mund zu legen, die dem Publikum eine glaubhafte Figur nahebringen. Mutter Natur lebt zunächst ganz im Einklang mit sich selbst, sie pflegt den Garten Eden, kümmert sich sorgsam um die Pflanzen, verteilt aus einem Körbchen kleine Lautsprecherboxen auf der Bühne. Fortan werden die Texte der Figuren über die Soundboxen in den Raum gespielt, also nicht live gesprochen. Die Spieler*innen werden dazu ihre Lippen bewegen, performen so ein Playback-Stück im Paradies. Eine seltsame Wirkung wird dadurch erzielt: Während das Publikum einerseits ganz nah am Geschehen sitzt, wird andererseits durch die Texteinspielung eine künstliche Distanz und eine humoristische Trash-Ästhetik erzeugt.

© Dennis Yenmez
Jetzt tritt die zweite Figur auf. Simon Hartmann schlüpft unter einem schwarzen Bühnenpodest als „Wesen“ aus einem Kokon aus Frischhaltefolie. Wir erfahren von Gott, dass wir an diesem Abend Zeug*innen dreier Metamorphosen dieses Wesens werden. Und so viel sei an dieser Stelle zu verraten: Gut geht die Geschichte vom Wesen und Mutter Natur nicht aus. In einem hautengen, chamoisfarbenen Ganzkörperanzug kriecht es in die Bühnenmitte und wird von Mutter Natur entdeckt. Zu Beginn begutachten sich Natur und Wesen neugierig, doch im Lauf der weiteren Metamorphosen wird sich das Wesen von seinem Chininpanzer befreien, wird ein Geweih aufsetzen und schließlich von Mutter Natur Zaumzeug angelegt bekommen. Immer mehr fordert sie von ihm. Die drei Entwicklungsstufen des Wesens werden vom Choreograf*innen-Duo durch eine klare Bewegungssprache herausgearbeitet: von anfänglich kriechend zu aufrecht gehend erzählen sie die Geschichte auch auf Bewegungsebene. Nachdem das Wesen schließlich die verbotene Frucht, hier eine Ananas, genommen hat, „läuft einfach alles aus dem Ruder“ und die beiden fangen an sich zu bekämpfen. Schließlich kommt Abraham in den Garten Eden, er ist hier eine Ratte mit roten Augen, unübersehbar auf einem Fernsteuerungsauto angebracht und vom Wesen gesteuert. Aggressiv geht die Ratte auf Mutter Natur los. Die vollständige Zerstörung nimmt ihren Lauf, „und dabei fing doch alles so gut an!“.
„Eden“ ist rasend unterhaltsam und ästhetisch beeindruckend durch Licht, Sound, Bühne und Kostüme. HARTMANNMUELLER verzichten auf keinen Gag und verleihen ihren Figuren durch eine präzise Körperarbeit große Ausdrucksstärke. Mit bissigem Blick schauen sie auf die Welt und darauf, wie sie sich selbst zerlegt. Am Ende steht die Zerstörung des Garten Eden und der zynische Gott kommentiert: „Trotzdem ganz nett anzusehen, wie alles zerfällt.“