So weit, so ermüdend

Wut ist nicht gleich Wut, jede*r spürt sie anders. Doch sie gilt vor allem als männliches Gefühl und wird Frauen oft abgesprochen. Das Kölner Label Drangwerk e.V. hat diesem überlebenswichtigen Gefühl deshalb einen ganzen Abend gewidmet. Unsere Autorin hat die Inszenierung in der Kölner Orangerie gesehen. Im Dezember folgen weitere Aufführungen im Bruchwerk Theater Siegen.
Sie stampfen laut auf und boxen mit ihren Fäusten in die Luft, sie kauern auf dem Boden, verzerren ihr Gesicht im Scheinwerferlicht und schreien stumm – minutenlang immer wieder die gleichen Szenen auf dem dunklen Tanzboden der Kölner Orangerie. Einzelne Scheinwerfer tauchen die beiden Schauspielerinnen Lisa Sophie Kusz und Elisabeth Pleß dabei in helles Licht. Kraftvoll winden sie sich aus dem Licht hinaus und lassen sich dann wieder hineinziehen. Traurig, bestürzt, verzweifelt? Nein, wütend sind sie!
Nur langsam gibt sich Elisabeth Coudoux mit ihrem Cello im Hintergrund zu erkennen, kommt wie eine beruhigende Instanz hinzu, füllt den Raum mit verzerrten Tönen. Vorn am Bühnenrand schleudern uns die beiden Schauspielerinnen Fakten zu Gender-Pay-Gap, Familienunvereinbarkeit und Gewalttaten entgegen: „75% aller Entschuldigungen stammen von Frauen. Frauen lächeln öfter. Frauen verdienen durchschnittlich 19 % weniger als Männer. Wütende Frauen gelten als Mannsweiber, Kampflesben und Männerhasserinnen. Die WHO nennt Gewalt als eines der größten Gesundheitsrisiken für Frauen.“ All das bei Weitem nichts Neues, es sind Fakten, die seit Jahren in öffentlichen Debatten präsent sind. Weniger bekannt hingegen scheinen die unterschiedlichen Facetten von Wut zu sein, die Tatsache, dass nicht jeder Mensch laut brüllt und um sich schlägt, wenn er wütend ist. Umso wohltuender, dass die Darsteller*innen keineswegs in diesem Klischee stecken bleiben, sondern die Individualität dieses Gefühls betonen: Ihre Wut ist laut und leise, hektisch und gelähmt, sie ist furchteinflößend und ermutigend, bedrückend und euphorisierend.
Als die drei, jede im Lichtkegel eines Scheinwerfers, wie aus dem Nichts von persönlichen Geschichten erzählen, wird es still: Sie berichten von machtmissbrauchenden Regisseuren, Exhibitionisten in der Straßenbahn und Vergewaltigung in Partnerschaften.

© Viola Sophie
Grausame Erlebnisse, die zwar das traurige Potential haben uns zu bewegen, die hier aber neben Statistiken und universellen Gesten untergehen und im Persönlichen verharren. Heißt es im Ankündigungstext noch, es gehe um Stärke und Unabhängigkeit, um Superheldinnen, ihren Lebenshunger und ihre Freiheit, ist davon leider nicht viel zu spüren auf der Bühne. Vielmehr reproduzieren die drei Darstellerinnen die immergleichen Narrative à la „wir haben es so schwer“ und „Männer sind an allem Schuld“. Die Cello-Musik von Elisabeth Coudoux untermalt dieses traurige vorwurfsvolle Moment, anstatt dem Abend Wucht und Dringlichkeit zu verleihen.
Keine Frage: Es ist noch viel zu tun bis wir wirklich gleiche Möglichkeiten und gleiche Gehälter bekommen, bis Frauen nicht mehr als das „sanfte, leise, gehorsame Geschlecht“ abgetan und als übernächtigt, zickig oder hysterisch bezeichnet werden, wenn sie wütend sind. Bis Machtmissbrauch und Vergewaltigung nicht mehr an der Tagesordnung stehen und die immergleichen, erlernten Mechanismen von weiblicher Schwäche und Hörigkeit, von männlicher Stärke und Führung überwunden sind. „Ich habe es satt, ich habe es so satt“, rufen, ja schreien die beiden Schauspielerinnen dann auch in den Bühnenraum – so verständlich, so ermüdend. Als wären die großen Feministinnen der vergangenen Jahr(zehnt)e nie gewesen, kommt der Abend über Beschwerden nicht hinaus, liefert lediglich eine Mindmap der Ungerechtigkeiten und vermittelt so einen längst überwunden geglaubten Feminismus. Anstatt die gemeinsame Kraft für einen Blick nach vorn zu nutzen, neue Perspektiven und aufregende Ideen anzubieten, konzentrieren sie sich auf die Schuld alter weißer Männer. Der Empowerment-Moment bleibt dabei völlig aus – ein Weg mit dem wir dem Patriarchat wohl nicht den Garausmachen werden.
Ziemlich genervt verlasse ich die Orangerie, fest entschlossen, meine Energie weiterhin lieber in gegenseitiges Empowerment als in ständiges Beschweren zu investieren. Und das ist wirklich ein gutes Gefühl.