Digitale Sichtbarkeit, Interview 21.12.2022

„Wir brauchen eine Veränderung auf allen Ebenen“

Verein zur Förderung Freier Theaterarbeit e.V.

Das Theater im Depot, ein ehemaliges Straßenbahndepot, ist heute eine freie Tanz- und Theaterwerkstatt im Herzen von Dortmund. Zusammen mit Christian Koch hat der freischaffende Künstler, Forscher und Regisseur Jens Heitjohann seit 2001 die künstlerische Leitung des Hauses übernommen. Nun hat das Theater die Förderung „Digitale Sichtbarkeit“ bekommen und ist dabei, eine komplett neue Webseite zu präsentieren. Im Interview erzählt Jens Heitjohann von den Vorteilen der neuen Webseite, dem Projekt Versammlung der Versammelten und der Zukunft des Dortmunder Theaters. 

Warum braucht das Theater eine neue Webseite? Was ist das Ziel für die neue Website?

Jens Heitjohann: Wir haben ein wichtiges Projekt am Start und zwar die Versammlung der Versammelten. Unser Ziel ist es, durch die neue Webseite und das Projekt Leute zu empowern, sodass sie in der Lage sind, eigene Autor*innenschaft und Entscheidungen zu treffen. Dabei brauchen wir viel Ensemble-Arbeit. Wir möchten Barrieren abbauen und unsere Ziele auf eine institutionelle Arbeit übertragen.

Wie sieht denn genau das Projekt aus? 

Jens Heitjohann: Bei der Versammlung der Versammelten treffen wir uns einmal im Quartal. Gemeinsam treffen wir Entscheidungen über das Programm. Ich gebe keine Strukturen vor. Die Auseinandersetzung darüber, wie man überhaupt zu so einer Entscheidung kommt, ist wichtiger. Deshalb stecken wir viel Arbeit in die Webseite. Das ist eine Kristallisation, bei der alle zusammenkommen. Es ist eine sehr umfassende, prozessuale Arbeit. Wenn wir uns jetzt im Februar treffen, werden danach ein paar Interessensfelder definiert und wir geben den Raum und die Hilfestellung dafür. Ich finde zum Beispiel, dass der Park hier hinter dem Theater eine spannende Geschichte hat. Es ist der Ort, wo große Ausstellungen und Völkerschauen in Dortmund stattgefunden haben. Das heißt, es gibt einen kolonialen Kontext, der aber im Park im Moment überhaupt nicht sichtbar ist.

Da war früher eine Orangerie, die zerbombt wurde; die Leute sind flanieren gegangen und es ist direkt vor der Nordstadt, dem migrantischen Viertel in Dortmund. Man könnte den Park kartographieren und herausfinden, wo was stattgefunden hat, im Sinne einer Rekonstruktionsarbeit. Darüber hinaus kann man sich Gedanken darüber machen, wie man künstlerisch dazu beiträgt. So entsteht der Erfahrungsraum, das Material, aber auch ein immer stärkeres Feedback-System zwischen diesen einzelnen Gruppen und der Versammlung. Auf diese Art und Weise kreieren wir neue Projekte, die mit dem Lebensraum, mit der Alltagsrealität der Menschen zu tun haben. Dafür ist unsere neue Webseite die richtige Plattform. Man muss einen Informationsfluss herstellen, und der Austausch ist entscheidend.

Wofür macht ihr noch Werbung?

Jens Heitjohann: Auf der Webseite sieht man sofort Werbung für unseren Raum “A29”, der als Community Space funktioniert. Ich habe einen Kurs an der Fachhochschule gegeben und vier Studierende aus der Szenographie haben ihn am Ende gestaltet und eingerichtet. Dieser Raum hat ganz viele Display-Funktionen. Es ist alles vorbereitet, damit Sachen schnell ausgestellt und unkompliziert herausgestellt werden können. Das ist eine Ebene – die räumliche Verortung und Repräsentation – und die andere ist, wenn wir über digitale Sichtbarkeit sprechen, dass wir im Bereich auf der Homepage Platz schaffen, wo diese Gruppen etwas veröffentlichen können. Sie können Ergebnisse und Texte, die sie selbst schreiben, in einer Art „Blockfunktion“ hochladen. 

Was fehlt noch auf der Webseite?

Jens Heitjohann: Man sieht es im Moment nicht, aber es fehlen zwei Menüpunkte. Sie sind angelegt, aber unsichtbar geschaltet. Es gibt eine eigene Sektion zur Versammlung der Versammelten, mit der Blockfunktion, wo die Gruppen reinschreiben können. Und ein wichtiger Aspekt ist, dass es die Webseite auf unterschiedlichen Sprachen geben wird. 

Und das war früher nicht der Fall? Inwiefern wird die Webseite verbessert?

Jens Heitjohann: Im Moment gibt es sie nur auf Deutsch und Englisch, was die Grundanforderung für eine Kulturinstitution ist. Deutsch ist unsere Alltagssprache und Englisch ist die Sprache von Tourist*innen, Künstler*innen – wir zeigen viele internationale Künstler*innen – und es ist eine Verständigungssprache. In der Nachbarschaft haben wir aber viele Sprachen. Wenn wir die Institution öffnen wollen, müssen die Sprachen repräsentiert werden, die in den Communitys gesprochen werden. Denn unsere Zielgruppe sind die Leute, die hier in unserem Umfeld sind. Das Theater ist das lokalste Medium, das es gibt, und es gibt große Potentiale darin, eine Gesellschaft auf einer Mikroebene zu verhandeln und Austausch zu schaffen.

Das Theater im Depot ist ein geschützter Raum. Das ist mein Angebot als Theatermacher: Ich möchte es zur Verfügung stellen und in diesem Sinne helfen. Oft heißt es, die Hälfte der Leute spricht nicht so gut Deutsch, dass sie ins Theater gehen würde. Ich würde gerne jedes Stück mit mindestens zwei Sprachen untertiteln, zum Beispiel auf türkisch, arabisch oder tamilisch. Aber auch lesen ist für viele Leute kompliziert. Deshalb ist die Website quasi ein Spiegel dessen, was wir sonst machen, funktioniert aber auch genau andersrum: Es gibt Impulse von der Webpräsenz rein in die Arbeit, die hier im Raum stattfindet. Daher kommt die Idee, aber auch die Notwendigkeit, mit mehreren Sprachen zu arbeiten. 

Theater im Depot

© Jan Schmitz

Was habt ihr sonst noch für Pläne für die neue Website? 

Jens Heitjohann: Das Theater war bis zum Spielzeitwechsel implementiert in die Gesamtzeit. Wenn man bei Google “Theater im Depot” eingibt, landet man immer noch als erstes beim Depot Dortmund und wir kommen als zweites (Theater im Depot.de). Das wird sich ändern, das ist der Ausgangspunkt. Außerdem haben wir im Moment nur einen Menüunterpunkt  oben. Wenn man auf das Menü der alten Webseite geht und dann auf “Theater” klickt, findet man noch eine Landing-Page. So sah die Seite des Depots komplett aus, es gab ein Plus vor dem “Theater” und dann verschiedene Unterpunkte, wie einen Kalender. Hier gibt’s einen kleinen Text zur Geschichte, Trägerschaft, was im Prinzip die Homepage früher war.

Die neue Webseite, die ganz eigene Homepage, hat eine eigene Gestaltung und CI. Die CI war nicht Bestandteil der Förderung. Für uns war es wichtig, eigenständig zu werden, auch eine eigene CI und damit Marke zu kreieren, dann in der nächsten Ebene den Rest umzusetzen. Man sieht die Menüpunkte, die schweben auf den Buchstaben drauf im Moment, und ein Programm. Dann kommt lange nichts und dann About Service und Tickets kann man sich zwischen DE und EN entscheiden, und dort würden die Versammlung der Versammelten und A29 dazwischen liegen. Es ist im Moment unsichtbar geschaltet.

Wisst ihr schon, wie lange es noch dauert, die Website fertigzustellen?

Jens Heitjohann: Ja, bis Jahresende werden wir eine grundsätzliche Information darüber geben. Die Umsetzung der Funktionen ist noch nicht fertig, weil das Projekt noch nicht gestartet ist. 

Habt ihr vor, die Website interaktiver zu machen?

Jens Heitjohann: Ich sehe viel Bewegung, aber das Bekenntnis führt oft nur so weit, bis es um die Finanzierung geht, vor allem wenn man die Ankündigungstexte in verschiedene Sprachen übersetzen möchte. Wenn wir an die pragmatische Ebene denken, sind Audiodeskriptionen eine tolle Idee. 

Hat der gesamte Prozess Spaß gemacht?

Jens Heitjohann: Ja, es ist wie ein Selbstfindungsprozess. Anfang des Jahres haben wir einen Workshop gemacht, wo zwei Personen, die von außen reinkommen, reflektiert haben, was wir machen. Sie sind Kommunikations- und Gestaltungsprofis und es war super, deren Ideen zu überprüfen. Man muss die eigene Arbeit erstmal erzählen und kondensieren, auf Begriffe bringen, auf Headlines. Das ist der kreative Moment, vieles danach ist Umsetzung, Technik, Überprüfen, aber das ist, was am meisten Spaß gemacht hat.  

Für was benutzt ihr die meisten finanziellen Mittel?

Jens Heitjohann: Die ganze Förderung ist ausschließlich in diese Webseite geflossen. Die CI ist nicht originär für das Netz entworfen worden, sondern immer mit dem Hintergedanken, dass es im Internet stattfindet. Das ist jetzt hier, als Fundament, das immer so stehen bleibt. 

Die Webseite ist schwarz/weiß und sieht komplett anders aus als die ältere. Wer kam auf die Idee für das Design?

Jens Heitjohann: Unsere Grafikagentur Ten Ten Team, eine lokal ansässige Agentur. An der Designleistung haben aber letztlich zwei Webagenturen gearbeitet: Die grundsätzliche CI hat Ten Ten Team aus Dortmund gemacht, und die ganze Homepage (und die Übersetzung der CI) hat die Agentur Liebermann Kiepe Reddemann Interdisciplinary Design Studio erstellt.

Was macht das Design so besonders?

Jens Heitjohann: Das Theater Logo repräsentiert zwei verschiedene Dinge für die Agentur (TTT). Die halbrunde Form ist die Form des Parlaments. Wenn wir die Versammlung der Versammelten als zentrale Idee dieser Phase des Hauses sehen, dann ist diese parlamentarische Idee, die Weltbestimmung, diese Demokratisierung des Planungsprozesses das zentrale Moment. Deswegen haben sie es so in die Gestaltung des Logos aufgenommen.  Eigentlich ist dieses Hochziehen, dieses Scratchen und Squeezen von Buchstaben ein No-Go. Das lernt man in Designstudiengänge. Doch wenn man Regeln interessant bricht, kann es cool werden.

Wir haben uns eine Sitzung lang mit Kiosk-Schildern beschäftigt. Wir sind rumgelaufen, haben viel fotografiert und am Ende hatten wir 20 Fotos von Kiosken, auf denen einfach “Kiosk” steht, in einer flachen und schnörkellosen Schrift. Das haben wir genommen. Es ist eine Mischung – auf der Design-Ebene – aus dieser parlamentarischen Idee und Ruhrpott-Alltagskultur. Das Logo verschwindet nicht, ist auch auf der Homepage zu sehen. Es ist das Fundament – auf einer Metaebene – dessen, was wir im Theater vorhaben. Wir fanden es so stark, dass es wie ein Sockel ist, auf dem alles ruht, und auf den man sich immer beziehen kann. Es ist immer präsent. Mir ist bewusst, dass es nervig sein kann, aber ich mag diese Sperrigkeit total. 

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Milica Devic
Milica Devic
lebt seit 2016 in Deutschland und studiert Angewandte Literatur- und Kulturwissenschaften, Geschichte und Kulturanthropologie des Textilen in Dortmund. Neben Tätigkeiten beim Dortmunder U oder dem Theater an der Ruhr schreibt sie für kritik-gestalten.