Kritik 29.11.2022

Trio Infernale

TITUS/STURM/ZÄHMUNG / Tim Mrosek
© Ingo Solms

In der Regie von Tim Mrosek sind zwischen 2017 und 2021 drei zeitgenössische Shakespeare-Adaptionen entstanden, die sich zwischen Pop, Performance und Pathos mit überzeitlichen Machtstrukturen und deren unterschiedlichen Ausprägungen beschäftigen. Nun sind endlich alle drei Produktionen hintereinander in der TanzFaktur zu sehen.

Titus

Um Shakespeares „Titus Andronicus“ macht die Theaterwelt gewöhnlich einen großen Bogen. Zu rau und ungeschliffen kommt dieser frühe Zögling aus der Feder des großen Dramatikers daher. Brutal und blutig und ohne ein Fünkchen Hoffnung entfaltet sich die grausame Geschichte um den römischen Feldherrn Titus, der beim Ringen um den Thron einen mörderischen Machtkampf auslöst. Der Stoff taugt eher für einen Splatter-Film denn für ein Drama um Macht und Moral. Und doch kann man in dem wahnwitzigen Rachespektakel die Mechanismen erkennen, die den Menschen in Gewaltspiralen treiben.

Bei Tim Mrosek wird das Stück zum Musterbeispiel dafür, wie Gesellschaft und Politik in Krisenzeiten verrohen können, wenn beim Bewältigen von Problemen der dünne Firnis der Zivilisation zerreißt. Gespielt wird im leeren, weißen Raum, in dem nur ein riesiger, schwarzer Soundblaster düstere Dominanz ausstrahlt. Zum Schlagerpop von Dschingis Kahn choreografieren die fünf Schauspieler*innen ein Machtritual aus dem alten Rom. Titus feiert als siegreicher Feldherr seinen Triumph und opfert, gemäß den Regeln, den Sohn der gefangenen Gotenkönigin Tamora, nicht zuletzt als Sühne für seine 21 (!) Söhne, die bei dem langjährigen Feldzug ums Leben kamen.

Pop, Pulp und Pathos bestimmen den Beginn des Stückes und geben die Richtung vor, bei der Tim Mrosek mit aberwitzigem Humor und stilisierten Gewaltszenen die Strukturen einer Rache-, Macht und Gewaltlogik offenlegt. Immer wieder tauchen Bezüge zur Perversion der IS-Gewalt auf und zu ihrer Funktion, gleichzeitig Abschreckung und Anziehung auszuüben. Auf allzu eindeutige Allegorien lässt sich das Bühnengeschehen aber nicht festlegen. So kommt das Stück gleichzeitig wie eine Bühnenversion der Erfolgsserie „Fargo“ daher, wenn die Lawine erst einmal ins Rutschen gerät und der einzelne Mensch eher hilfloser Spielball der Umstände und seiner niedrigen Instinkte wird, statt das Geschehen noch selbstbestimmt lenken zu können.

Dorothea Förtsch spielt denn auch folgerichtig den Titus als unsteten Geist, dessen dynamischem Tatendrang rasch hilfloses Zaudern folgt. Lucia Schulz bietet ihr als dämonische Rachegöttin Tamora ebenso überzeugend Paroli wie Georgios Markou, der als skrupelloser Thronfolger Saturninus männliches Machtgebaren ebenso pointiert zur Schau stellt wie verletzte Eitelkeit. Wie er schlüpft auch Melissa Moßmeier gleich in mehrere Rollen auf der Opfer- und Täter-Seite, die geschändete Titus-Tochter Lavinia und der zurückschlagende Bruder Lucius. Asim Odobasic gefällt zunächst in der Funktion eines komischen Conferenciers, bis er die Rolle des ultimativen Sündenbocks Aaron übernimmt, der als gesellschaftlicher Underdog im Ränkespiel der Herrschenden das Böse genüsslich zum Selbstzweck erkoren hat und folglich zum Schluss der fulminanten Theaterperformance büßen muss, wenn die Ordnung vermeintlich wieder hergestellt ist.

Sturm

© Ingo Solms

Nach dem Sturm ist vor dem Sturm. Dazwischen ist dieser Moment der Ruhe und Klarheit, wie auf der Bühne, wo das Licht auf einen Sandstrand fällt, auf dem nur rote Tulpen zu sehen sind. Das Bühnenbild ist von einer Prägnanz und irritierenden Schönheit, die kurz die Vorstellung paradiesischer Zustände in den Zuschauer*innen erweckt, bevor das Soundgewitter losbricht und sich mit ihm die Protagonist*innen von Shakespeares schaurig-schöner Zauberkomödie „Der Sturm“ zum Schlagabtausch rüsten. Ganz in Schwarz gekleidet und sich seltsam verrenkend staksen Sibel Prolat und Asim Odobasic durch den Sand, wie Marionetten von fremder Hand geführt. Oder wie Avatare, die sich als unsere Alter Egos durch ein Schauspiel bewegen, bei dem sie die unterschiedlichsten Rollen einnehmen und so zur Projektionsfläche für kontrastierende, sich gegenseitig spiegelnde Sichtweisen auf die Welt werden.

Aus der ethischen Motivation dieser Gestalten, die Shakespeares (Alb)-Trauminsel bevölkern, macht das Stück keinen Hehl. Ferdinand, der Sohn des Königs von Neapel, der mit seinem Vater Alonso und Antonio, dem Herrscher über Mailand, an Bord des Schiffes war, das im Sturm auf der Insel gestrandet ist, benennt es treffend, wenn er im höllischen Orkan erkennt: „Die Höll/ Ist leer, und hier sind alle Teufel!“. Für Prospero ist nun der Moment der Abrechnung gekommen: Zwölf Jahre zuvor ist er von seinem Bruder Antonio mit Hilfe von Alonso um seine rechtmäßige Krone gebracht worden. Seitdem lebt er mit seiner Tochter Miranda auf diesem abgelegen Eiland im Mittelmeer. Die Urbevölkerung der Insel, der triebgesteuerte Caliban, Sohn einer verstorbenen Hexe, und der von Prospero aus einem Gefängnis befreite Luftgeist Ariel, sind von dem Exilanten aus Mailand mit (wenig) Zuckerbrot und (viel) Peitsche längst zu Untertan*innen degradiert worden. Jetzt, im Moment des ultimativen Schlagabtauschs, werden auch ihre Karten neu gemischt. Hier will jeder dem anderen an die Gurgel oder an die Wäsche.

Regisseur Tim Mrosek und die beiden Dramaturg*innen Martin Wiesenhöfer und Katja Winke haben das Stück klug und extrem kurzweilig auf eine Stunde Spielzeit gekürzt. Der Zuschauende wird förmlich mitgerissen von einem furiosen Reigen an Beziehungs- und Machtkonstellationen, die in pointierten Vignetten die einzelnen Personen durchdeklinieren. Mit kühnem Einfallsreichtum gelingt es, aktuelle Themen wie Migration, Globalismus und Rechtsradikalismus ebenso einzubauen wie utopische Gegenentwürfe, die den Bogen von Shakespeares Montaigne-Zitaten bis zu Gedankenmodellen der Graswurzel-Revolution schlagen. Dabei bleibt das Stück bei aller Drastik stets voller Komik, die durch das virtuose Spiel der Schauspieler*innen und die brillanten Dialoge Shakespeares klassischen Witz mit aktuellem Humor verbindet. Wenn am überraschenden Ende zwar kein Shakespearsches Happy End, dafür aber kathartische Klarheit wartet, reift beim Publikum die Gewissheit, Zeug*in eines fulminant gelungenen Theaterabends geworden zu sein.

Zähmung

TITUS/STURM/ZÄHMUNG / Tim Mrosek

© Ingo Solms

Kiss me, Kate, kannste knicken. In Tim Mroseks drittem Shakespeare-Streich – nach „Titus“ und „Sturm“ geht’s dem alten Mann und Meister des elisabethanischen Theaters gehörig an den Kragen. Auf vier Podesten platzieren sich in Padua die Freier Petruccio und Lucentio, um mit dem Brautvater Baptista die Modalitäten der Hochzeit mit seinen beiden Töchtern Katherina und Bianca auszuhandeln. Letztere, die brave Bianca, tritt an diesem Abend erst gar nicht in Erscheinung, während die Schauspieler*innen auf der Bühne nicht im historisierenden Brokat, sondern im Streetlook mit Bomberjacken, Goldketten und Camouflage-Hosen den Fleisch-Basaar eröffnen. Jana Jungbluth, Carmen Konopka und Lucia Schulz schlüpfen hier in die Rollen der misogynen Schacherer, während Asim Odobasic als aufmüpfige Katherina mit ein paar Ohrfeigen zur Räson gebracht wird. Kaum aber hat sich das Bühnengeschehen als Spiel mit den Rollenbildern etabliert, da drückt Regisseur Tim Mrosek die „Problem Play“-Taste und katapultiert das Geschehen aus dem patriarchalischen Padua in die Jetztzeit, wo sich vier „Nerds by Nature“ im Netz über die schaurig-bunte Vielfalt der antifeministischen Mannosphäre austauschen.

Zähmung in Zeiten von Post-Gender bekommt hier eine grotesk-komische Note, die durch den Gebrauch von Comicsprache und -tonfall (dank dem Einsatz von Helium) noch unterstrichen wird. Die glänzend aufgelegten Schauspieler*innen tragen bewusst dick auf, um Norm und Abweichung für heutige Sehgewohnheiten sichtbar zu machen. Von den Incels, über die Pick-Up-Artists bis hin zu der Purity Culture und den Proud Boys wird hier durchaus kurzweilig und kenntnisreich das ganze bigotte Panoptikum ultrakonservativer Bewegungen vorgestellt.

Feminines Selbstbewusstsein und emanzipierte Sexualität sind die Bedrohungsszenarien, die eine verunsicherte und aggressiv-agierende, männliche Netz-Community mit Hilfe von Verführungsseminaren und ähnlichen rückwärtsgewandten Verhaltensmustern „zähmen“ wollen. Im munteren Schlagwortgewitter scheuen Tim Mrosek und die beiden Dramaturg*innen Martin Wiesenhöfer und Katja Winke mitunter auch nicht vor einem Overkill an prominenten Namen und Fachwörtern zurück, um möglichst viele Problemzonen in der aktuellen Geschlechterdebatte anzusprechen. Ermüdungserscheinungen beim Zuschauenden treten aber nicht auf, denn die Dialoge behalten stets ihre Dynamik und sind immer so originell und pointiert, dass man*frau dem Quartett über die Dauer der 70 Minuten gerne folgt. Von „Viel Lärm um nichts“ kann hier jedenfalls nicht die Rede sein. Problem erkannt, benannt, aber noch nicht gebannt, könnte man den gewitzten Rundumschlag zusammenfassen, der hier den Vorhang auf ein kleines bisschen Horrorshow gekonnt öffnet.

 

Titus

TanzFaktur, 30.11., 20h
Koproduktion von Tim Mrosek,
Orangerie Theater im Volksgarten, Theaterakademie Köln, c.t.201 und studiobühneköln
Mit: Dorothea Förtsch, Georgios Markou, Melissa
Moßmeier, Asim Odobasic und Lucia Schulz
Konzept und Regie: Tim Mrosek

 

Sturm

TanzFaktur, 2.12. 20h
Koproduktion von Tim Mrosek,
Orangerie Theater im Volksgarten und studiobühneköln
Mit: Asim Odobasic und Sibel Polat
Konzept und Regie: Tim Mrosek

 

Zähmung

TanzFaktur, 4.12., 20 h
Koproduktion von Tim Mrosek,
Orangerie Theater im Volksgarten und studiobühneköln
Mit: Jana Jungbluth, Carmen Konopka, Asim Odobasic und Lucia Schulz
Konzept und Regie: Tim Mrosek

Kommentare

Norbert Raffelsiefen
Norbert Raffelsiefen
hat in Köln Theaterwissenschaft studiert, als das Fach noch Theater-Film- und Fernsehwissenschaft hieß. Neben kritik-gestalten schreibt er u.a. für den Kölner Stadtanzeiger und ist Jurymitglied des Kölner Theaterpreises.