Digitale Sichtbarkeit, Interview 31.12.2022

„Wir funktionieren anders als Zalando“

Kostümtauschbörse NRW
© Opernwerkstatt am Rhein

Die Opernwerkstatt am Rhein baut einen digitalen Kostümfundus auf, deren Bestand man online einsehen und wo man sich gebührenfrei Kostüme ausleihen kann. Ein Gespräch mit dem Datenbank-Gründer und Künstlerischen Leiter des Tourneetheaters Sascha von Donat über dieses Mammutprojekt und Nachhaltigkeit im Theater.

Die Opernwerkstatt am Rhein baut einen digitalen Kostümfundus auf, deren Bestand man online einsehen und wo man sich gebührenfrei Kostüme ausleihen kann. Fortan können hier auch andere Theater solidarisch Kostüme zum Verleih zur Verfügung stellen. Damit will das Tourneetheater aus Hürth den gesamten Theaterbetrieb nachhaltiger machen.

Um so ein Mammutprojekt neben dem regulären Spielbetrieb auf die Beine zu stellen, braucht es eine gute Portion Idealismus, sagt Sascha von Donat. Er ist künstlerischer Leiter der Opernwerkstatt und Gründer der neuen Datenbank. Mit seinem Team entwickelt er seit 2007 Musiktheaterproduktionen von Oper bis Musical und Rock. Manche Stücke werden über mehrere Jahre gespielt: „Die kleine Zauberflöte“ zum Beispiel steht seit 2008 immer wieder auf dem Spielplan. Und auch das sei eine Frage von ökologischer Nachhaltigkeit, sagt von Donat. Zum Teil werde mit den gleichen Kostümen, den gleichen Kulissen gearbeitet. Das funktioniere auch deshalb gut, weil die Bühnenbilder und Kostüme immer selbst hergestellt werden. Wenn dann etwas geflickt oder repariert werden muss, wisse immer jemand Rat. Und das, obwohl die Opernwerkstatt am Rhein fast ausschließlich produktionsbezogen mit freien Künstler*innen arbeitet. Die Organisationsstruktur ist winzig: Nur zwei bis drei Menschen arbeiten für das Theater und auch die Kostümtauschbörse lebt vom Engagement eines kleinen Teams.

 

Besucht man Eure Webseite, denkt man sofort an größere Musicals oder Stadttheaterproduktionen. Und auch die Kostümtauschbörse wirkt wie ein Großprojekt. Wie ist diese Idee entstanden?

Sascha von Donat: Vor allem durch die Entwicklung unserer neuen Produktion „Danke für nichts – Ein Generation-Z Musical“, die im April 2023 endlich Premiere feiern wird. Es ist ein Stück über Umweltaktivist*innen, die auch die „Letzte Generation“ sein könnten, nur, dass es die noch nicht gab, als wir das Stück geschrieben haben. Als wir uns thematisch so sehr mit Nachhaltigkeit und der Klimakrise auseinandergesetzt haben, kam immer wieder die Frage auf, was wir als Theater tun können, um nachhaltiger zu sein. Wir sind ein Tourneetheater, also das am wenigsten Nachhaltige, was es so gibt: Um spielen zu können, bewegen wir Transportgüter und Menschen von einem Ort zum anderen, verbrauchen aber auch mit Scheinwerfern oder Ton eine Menge Energie. Wie die allermeisten Künstler*innen wollen wir damit weitermachen, weil es unser Beruf und unsere Leidenschaft ist. Wir stecken in einem Dilemma: Künstler*innen sind Idealist*innen und wollen gut sein. Wir wollen nachhaltig arbeiten und die Welt verbessern. Und trotzdem kommt schnell eine große Hilflosigkeit auf, wenn Ideen für nachhaltige künstlerische Projekte gesammelt werden. Das liegt mitunter daran, dass Kunst eben meist nicht von der Reduktion lebt, deshalb hat sie hier auch kaum Lösungen.

Bei uns haben die Hochwertigkeit und Vielfalt der Kostüme aber schon immer auch für mehr Nachhaltigkeit gesorgt: Als Tourneetheater sind wir auf Kostüme angewiesen, mit denen wir auch in kleineren Städten auf uns aufmerksam machen können. Insbesondere ein konservatives Publikum – und das haben wir meist im Musiktheater – freut sich über eine opulente Ausstattung. Weil wir schöne Kostüme haben, haben sich andere Theatergruppen und Kollektive in der Vergangenheit ab und zu etwas ausgeliehen. Auch kam es vor, dass Kolleg*innen uns Kostüme geschenkt haben, weil sie wussten, dass die bei uns gut aufgehoben sind. Und wenn zum Beispiel die Bühnen der Stadt Köln mal Kostüme verkaufen, können wir davon auch meistens etwas für uns nutzen. So haben wir in den letzten 15 Jahren einiges angesammelt – das war für uns also der sinnvollste und erfolgversprechendste Anknüpfungspunkt beim Thema ökologische Nachhaltigkeit.

Wo lagert Ihr denn all diese Kostüme?

Sascha von Donat: Bisher waren sie auf verschiedene Orte verteilt. Um uns einen besseren Überblick verschaffen zu können, lagert der Großteil jetzt in einem Keller des Integrationshauses Köln. Meine Vision ist tatsächlich ein gemeinsamer Fundus vieler Theater. Dafür bräuchte man aber natürlich einen großen Raum, am besten eine Halle, die leicht beheizt ist. Und jemanden für die Verwaltung des Bestands. Denn es ist zwar ein großer Vorteil dieses digitalen Fundus, dass man von überall sehen kann, was gerade in welcher Größe vorhanden ist und ob es einen interessiert, aber für uns bedeutet das, dass wir die Datenbank immer up to date halten müssen.

Kostümtauschbörse NRW

© Opernwerkstatt am Rhein

Wie habt Ihr die Online-Tauschbörse entwickelt?

Sascha von Donat: Mit der Konzeption begonnen haben wir Anfang 2022. Zunächst mussten wir eine geeignete Datenbank finden und haben uns nach längerer Recherche für Shopify entschieden, weil diese Plattform relativ fotobasiert funktioniert, im Gegensatz zu den meisten anderen Datenbanken.

Auch ein gutes Nummernsystem mussten wir uns zulegen, damit jedes Kostümteil direkt im Bestand auffindbar ist. Dann haben wir mit den Fotos und der Beschreibung der einzelnen Teile begonnen. Erst wollten wir die Kostüme auf einem Bügel oder liegend fotografieren – für sowas haben Kostümbildner*innen sicher noch ein gewisses Abstraktionsvermögen, Regisseur*innen wie ich aber weniger. Deshalb habe ich diejenigen unserer Schauspieler*innen gefragt, von denen ich weiß, dass sie gern vor der Kamera stehen. Denn am Menschen wirkt ein Kostüm natürlich ganz anders. Stand jetzt haben wir etwa 2000 Fotos gemacht (14.12.2022). Damit dürfte etwa ein Drittel unserer Kostümteile abgedeckt sein, weil jedes Teil von mehreren Seiten fotografiert wird.

Im Moment ist die Seite noch in Bearbeitung, es muss noch einiges verbessert und angepasst werden. Und natürlich müssen wir die Beschreibung und Kategorisierung der einzelnen Teile machen. Aber im Januar wollen wir die ersten hundert Kostüme einstellen und mindestens 500 katalogisiert haben. Ab dann soll es kontinuierlich mehr werden.

Was fordert Euch bei der Umsetzung gerade heraus?

Sascha von Donat: Der Aufwand, den es braucht, um die Datenbank zu befüllen, ist riesig. Denn unser Wunsch ist natürlich, dass man nicht nur eine Beschreibung jedes Artikels, sondern auch eine Suchmöglichkeit hat. Das bedeutet aber, dass wir jeden Artikel kategorisieren und möglichst breit verschlagworten müssen. Nicht, dass man nur zwischen historischen Kostümen oder verrückten Sachen wählen und nach Farbe oder Konfektionsgröße suchen kann. Aus diesem Grund berücksichtigen wir Schuhe und Hüte noch nicht, denn die würden den Rahmen gerade sprengen. Ob wir die noch ins System aufnehmen, wird vom Bedarf abhängen.

Und so lange sich noch nicht alle Kostüme an einem Ort befinden, ist es nicht nur weniger nachhaltig, sondern für uns auch aufwendiger in der Datenbank zu markieren: Es muss ersichtlich sein, wem das Kostüm gehört, wo es lagert und wann es zur Verfügung steht und wann nicht. Ich suche also unbedingt nach einem finalen Lagerraum. Natürlich gibt es auch trotzdem kritische Stimmen, die sagen, das ganze Projekt sei gar nicht so nachhaltig, weil Kostümbildner*innen auch dann zu diesem einen Ort hinfahren müssen, um sich die Teile anzusehen. Ich denke aber: Je größer das Projekt wird, desto mehr Wege sparen wir.

Erste kleinere Theater haben inzwischen Interesse angemeldet. Aber auch größere Partner*innen, die sehr viele Kostüme beisteuern könnten. Wenn das Projekt schnell expandiert und wir eine große Halle von mindestens 100 Quadratmetern benötigen, stellt sich natürlich die Frage, wer die Mietkosten für diesen Lagerraum trägt. Am besten wäre es, wenn wir dafür einen Sponsor hätten.

Was muss man tun, wenn man mit Euch kooperieren möchte?

Sascha von Donat: Erstmal klären wir gemeinsam, ob die Kostüme, um die es geht, nur in die Datenbank aufgenommen werden sollen, sie aber weiter im Theater vor Ort lagern, oder ob die Teile zu uns kommen. Wer macht die Fotos: Fotografiert Ihr selbst oder sollen wir Hilfe leisten? Sollen die Kostüme fest in den Fundus aufgenommen werden oder wollt Ihr sie nur für einen bestimmten Zeitraum zum Verleih zur Verfügung stellen? All das sind Fragen, für die wir erstmal zusammen eine Lösung finden, mit der allen geholfen ist. Wir sind da erst einmal offen und wollen mit interessierten Partner*innen einen gemeinsamen Weg beschreiten und die Vorgaben und Regeln zusammen erstellen.

Wie geht es weiter, welche Visionen hast Du für die Tauschbörse?

Sascha von Donat: Bisher ist konkret noch nichts von außen dazugekommen, weil die Plattform erstmal einen gewissen Standard erreichen sollte, um dann möglichst viele Menschen von Beginn an zu überzeugen. Ich versuche also jetzt, auf unsere Plattform aufmerksam zu machen und dann wird sich zeigen, wer sich dafür interessiert. Es wäre natürlich toll, wenn alle Kostümbildner*innen, die eine Produktion machen, zuallererst auf unserer Seite vorbeischauen. Klar hat man den Ehrgeiz, eigene Kostüme zu entwerfen und nicht einfach irgendwo hinzufahren und etwas abzuholen. Da muss man eine Mischform finden, bei der Kostümbildner*innen immer noch künstlerisch, aber halt nachhaltiger arbeiten, als es jetzt meist der Fall ist.

Für kleinere Theater, die die Ausleihe erstmal ausprobieren wollen, denke ich im Augenblick an ein Pfandsystem. Bei größeren Theatern fände ich es natürlich gut, wenn die sagen, wir haben noch ein paar alte Produktionen, die geben wir in diesen Fundus, bevor wir was anderes damit machen. Zumindest bis unsere räumlichen Kapazitäten, die momentan noch sehr begrenzt sind, gesprengt sind. Dann muss man ohnehin einen nächsten Schritt gehen. Aber das ist kein Schritt, vor dem ich Angst habe, weil ich annehme, dass dann das Projekt einfach schon so erfolgreich ist, dass wir dann auch weitere Fördermittelgeber finden.

Ich kann mir zum Beispiel gut vorstellen, dass Theater, die sich für längere Zeit etwas bei uns ausleihen, im Gegenzug andere gleichwertige Kostüme bei uns hinterlegen. So würden auch diese Kostüme genutzt und uns stünde immer ein größerer Bestand auf der Plattform zur Verfügung. Natürlich müssen dazu Spielregeln aufgestellt werden: Zum Beispiel müssen die Kostüme gereinigt zurückkommen. Und wir müssen überlegen, wie wir mit Änderungen an den Kostümen umgehen, denn die sollen natürlich möglich sein, um sie an die jeweiligen Darsteller*innen anzupassen. Und es muss klar sein: Wir funktionieren anders als Zalando. Hier kann man die Sachen nicht fünfmal hin- und herschicken, bis man das Richtige hat. Das widerspräche unserer Idee.

Im Moment ist es am Wichtigsten, dass unsere Kollegin, die den Bestand akribisch ordnet, nummeriert und weiterhin verwalten und pflegen soll, vernünftig für diese Arbeit entlohnt wird. Hier suchen wir derzeit händeringend nach einer Lösung. Und natürlich, dass wir einen Ort finden und finanziert bekommen, an dem wir alles langfristig schonend lagern können. Denn dann werden wir auch leichter Theater finden, die ihre Sachen gern zu uns geben.

Anm. der Redaktion: Der digitale Kostümfundus ist seit Januar 2023 hier zu finden: https://digitaler-kostumfundus.myshopify.com

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#digitalesichtbarkeit, Onlineplattform

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Elisabeth Luft
Elisabeth Luft
lebt und arbeitet in Köln als freie Autorin, Kultur- und Theaterjournalistin (u.a. WDR, DLF). Sie studierte Germanistik, Medienkulturwissenschaften und Theaterwissenschaft in Köln, Rom und München. Sie leitet Blogredaktionen bei Theaterfestivals und ist in unterschiedlichen Theaterjurys tätig.