Kritik 19.09.2022

Zu hoch, zu schnell, zu weit

PERFORM!
© Martin Rottenkolber

„PERFORM!“ ist ein Stück der Reihe „BODIES OF CAPITALISM“. Antje Velsinger und Team haben sich in der Reihe mit Leistung beschäftigt, im Kontext von Sport und vor dem Hintergrund des Kapitalismus. Unsere Autorin Judith Ayuso hat es sich angesehen.

Auf der Bühne der Kölner Tanzfaktur links vorne steht ein Schlagzeug, ein großes Trampolin hinten rechts und davor eine weiße Treppe. Eva Klesse (Schlagzeug) betritt den Raum, sie beginnt mit einem Schlag, den sie schneller werdend wiederholt. Anne-Mareike Hess (Tanz) setzt zu einer Motivationsrede an: „Visualisieren Sie ihr Ziel!“ Sie hüpft. Klesse überfordert sich am Schlagzeug mit immer mehr Drumsticks, die herunterzufallen drohen. Während sie mit der einen Hand ihre Sticks jongliert, spielt sie mit der anderen weiter.

Hess‘ Kostüm erinnert an Kunstturnen – eine Mischung aus sportlich und glamourös – orangene Radlerhose, darüber lila Shorts, ein silbernes Top und ein weißes Shirt. Auf ihren Armen und Beinen klebt orangenes Physiotape, auch Klesse ist getaped, sogar auf dem schwarzen T-Shirt, als sei das längst Teil eines jeden Alltagsoutfits. „Ich habe 80 Mitarbeiter, drei Kinder, nach Feierabend laufe ich noch einen kleinen Marathon“, lässt sie uns lässig vom Schlagzeug aus wissen. „In welcher Situation beruflich und/ oder privat gibst du zu schnell auf?“, fragt Hess. Sie beginnt Runden zu laufen und tritt uns mit einer immer anderen Haltung gegenüber, mal hebt sie siegessicher die Faust, dann winkt sie ausgelassen, dann wirken Gesichtsausdruck und Körperhaltung eher verkniffen und kampfeslustig. Die Geräuschkulisse eines Stadionpublikums wird eingespielt, Hess winkt den Rängen.

Lamettaflügel, Siegestaumel und fremde Beine

PERFORM!

© Imke Lass

Wir beobachten die Laufbahn einer Leistungssportlerin, immer wieder besprechen und kommentieren die beiden Performerinnen Aspekte von Leistung, wie Motivation und persönliche Erfahrungen damit. Hess zeigt Siegerposen auf dem Trampolin, das Bild bröckelt, die Posen entarten, bis sie irgendwann im Vierfüßlerstand endet und vom Trampolin kriecht. Das Video auf der Hinterwand zeigt Hess in Astronautenlook, mit Helm und Lamettaflügeln, auch dort geht sie zu Boden. Ein Schwächemoment, als alle die Goldmedaille erwartet haben. Sie kann sich nicht aufrichten, greift sich in Muskeln und ins Fleisch ihrer Beine, als seien sie leblose Objekte, Fremdkörper.

Körperlich, performativ wird nicht mit Wettkampf und Erschöpfung gespielt, sondern mit den kleinen Momenten davor oder danach. Das Einlaufen in die Arena, das Aufwärmen, der Siegestaumel nach gewonnenem Rennen. Die beiden Performerinnen spielen präsent, mit einer guten Ironie, welche jedoch nie die thematisch nötigen Tiefen verhindert. Es liefert viele Denkanstöße zur Leistungsgesellschaft, die unser Denken über Arbeit, Funktionieren und Scheitern formt. 

Keinen Tag schmerzfrei

Fetter Fisch – Performance | Theater

© Thomas Mohn

Zum Thema Niederlagen etwa sagt Klesse, sie seien die „Geburtsstunde des neuen Erfolgs“. Hess erzählt von Erschöpfungszuständen, wenn sie Signale an ihre Körperteile sendet und einfach nichts zurückkommt. Aber schon sehen wir ihr Comeback, im gefederten Siegerjäckchen. Als bewege sie sich durch Erinnerungen an bessere Zeiten wärmt sie sich hüpfend auf, auf der Leinwand ein stürzender Skispringer. Dann eine Unterwasserkamera im Schwimmbecken, ein Schwimmer irrt am Boden des Beckens umher, als habe er seine Bahn verloren. „Nachhaltigkeit – pain management“ ist ihr letztes Thema, körperlicher Verschleiß, man will ja mithalten. „In den letzten 365 Tagen, war ich nicht an einem Tag schmerzfrei,“ sagt Hess.

Die beiden beginnen die Bühne abzubauen, Klesse schraubt das Schlagzeug auseinander und Hess zieht Gaffa Tape von der Bühne ab. Das wäre schon ein perfektes Ende gewesen, doch es geht noch ein bisschen weiter. Neustart. Erneutes Aufwärmen, ein Video von goldenen Pumps ohne Absätze, in denen jemand zu stehen versucht. Das ist bestimmt Konzept und Thema geschuldet, doch auch das Publikum muss sich nochmal konzentrieren. Immer weiter.

Gefördert von Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Kultur und Medien; Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW; NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste; Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien; gefördert durch das Kulturamt der Stadt Köln.

Mit Unterstützung von Lichthof Theater Hamburg, TanzFaktur Köln

Das Gastspiel und Rahmenprogramm wurde ermöglicht durch die Abspielförderung der Stadt Köln und die Wiederaufnahmeförderung des Förderung Gastspiel durch die Stadt Köln und die Wiederaufnahmeförderung des Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW; NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste

Genre

Performance, Tanz

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Judith Ayuso Pereira
Judith Ayuso Pereira
ist Philologin und Tanzwissenschaftlerin. Sie arbeitet als freischaffende Dramaturgin, Autorin und Vermittlerin und lebt im Ruhrgebiet.