Kritik 02.11.2022

Zwischen Mokkakanne und Kupferpfanne

K.I.T.C.H.E.N. / Marlin de Haan
© Bozica Babic

Mit „K.I.T.C.H.E.N.“ rückt Marlin de Haan ein WG-Leben in den Schein des Küchenlichts. Unsere Autorin Simone Saftig hat die Rauminstallation im April im FFT in Düsseldorf besucht. Jetzt kann man sie in einer neuen Version im Kunstmuseum Bochum erleben.

Sei es der erste Kaffee des Tages, das Mittagessen mit der Familie oder ein gemeinsames Feierabendbier: All diese Momente erleben wir in der Küche. Sie ist viel mehr als nur ein Ort zum Kochen, sie wird bei Studipartys zur Disko, bei Dates zum 3-Sterne-Restaurant und ist das Herz so ziemlich jeder WG. So ist es naheliegend, dass Regisseurin Marlin De Haan gerade diesen Raum unter die Lupe nimmt, wenn sie sich mit dem Zusammenleben in Wohngemeinschaften künstlerisch auseinandersetzt. In ihrer Rauminstallation K.I.T.C.H.E.N. lädt sie das Publikum in die Küche von Kati, Marius und Robert ein. Sie sind Tänzer*innen aus Essen, die eine lange Zeit gemeinsam in dieser WG gelebt haben. Während des Jahreswechsels 2020/21 hat De Haan die drei bei ihrer WG-Auflösung begleitet und daraus das Konzept ihrer Inszenierung entwickelt. Ob die Interpunktion im Titel auf Abkürzungen hinweist, bleibt offen. Es lässt sich aber wunderbar darauf herumdenken: K wie Kollektiv? I wie Intim? T wie Teilen? C wie Chaos? H wie Haushalt? E wie Entzweiung? N wie Nähe? All diese Aspekte spielen in der Inszenierung eine Rolle.

Wir finden uns also in der rekonstruierten WG-Küche der Tänzer*innen auf der Bühne im FFT wieder: Prominentestes Bühnenelement ist eine hölzerne Kochzeile mit Schränken und Schubladen. Auf der Arbeitsplatte ein verklebter Soda-Stream, auf dem Regal ein altes SEVERIN Raclette-Gerät, über dem Herd eine beliebige Sammlung an Kellen und Pfannenwendern, in der Mitte des Raumes ein Tisch mit zusammengewürfelten Stühlen, kurz: eine bunt-chaotische Küche, wie man sie schon in zahlreichen Studi-WGs gesehen hat und in der man sich deshalb auf Anhieb wohl und an die eigene Unizeit erinnert fühlt. Es gilt freie Platzwahl, und so sitzt das Publikum entweder am Küchentisch, auf dem Boden oder auf der Couch. Einige gehen herum und gucken sich um, inspizieren die Küchengeräte, probieren den Ofen aus. In einer Schublade liegt ein zerlesener Pizzaflyer, neben der Lampe die Nebenkostenabrechnung. Während manche Zuschauer*innen noch stöbern und andere einfach abwarten, hören wir schließlich Tonaufnahmen der WG-Mitglieder Kati, Marius und Robert. Sie erinnern sich an ihr erstes Zusammentreffen, eruieren, wie sie zur (Wohn-)Gemeinschaft wurden, tauschen sich über ihre WG-Rituale aus. Es geht um Java Chip Chocolate und Egg Benedicts, Zigaretten und Champagner, darum, wer immer Stinkekäse kauft und wie sie sich manchmal schick gemacht haben, um sich in der Küche zu versammeln.

K.I.T.C.H.E.N. / Marlin de Haan

© Bozica Babic

Im Folgenden erleben wir eine Verschmelzung von Dokumentation und Assoziation, Rauminstallation und Performance. Denn schon bald treten die drei Performer*innen Hendrik Hebben, Marlene Helling und Josephine Kalies auf. Sie sind ebenfalls Tänzer*innen, Kolleg*innen von Kati, Marius und Robert und repräsentieren die abwesenden WG-Mitglieder. Die Performer*innen bespielen die gehörten Dialoge mit verschiedenen Mitteln: Mal sind sie für sich, machen Yoga oder dehnen sich, dann versammeln sie sich und geben den Stimmen vom Band durch Lip-Synch einen Körper. Anschließend lesen sie aus Gesprächsskripten von Kati, Marius und Robert.

Doch auch choreografisch werden die Themen Nähe und Distanz, Kollektiv und Individuum visualisiert. Durch impulsgesteuerte, intuitiv wirkende Soloperformances tauchen die drei jeweils in ihre eigene Emotions- und Gedankenwelt ab und präsentieren sich als individuelle Subjekte. Dann wiederum durchqueren sie als Einheit den Raum. Dieser Part ist besonders eindrücklich: Als Pulk bewegen sie sich repetitiv mit der immer gleichen Schrittweise durch die Küche, als würde die Bewegung des einen die der anderen voraussetzen. In dieser Sequenz werden die Synchronisation von Lebensgewohnheiten und das Ineinandergreifen von Wohngemeinschaften besonders anregend verdeutlicht. Was eint eine WG eigentlich? Dasselbe Dach über dem Kopf? Geteilter Kartoffelauflauf? Geteilte Sorgen? Was kann sie wiederum trennen? Der Putzplan? Die Einkaufsliste? Die eigene Haltung?

K.I.T.C.H.E.N. / Marlin de Haan

© Bozica Babic

K.I.T.C.H.E.N. ist eine sehr freie, assoziative und bisweilen herausfordernde Arbeit: Längen müssen ausgehalten, Interpretationslücken mit eigenen Gedanken geschlossen werden. Nicht umsonst wird den Zuschauer*innen überlassen zu bleiben, zu gehen oder wiederzukommen. Etwas verwirrend ist die Konstellation von Dargestellten und Darstellenden. Dass die tatsächlichen WG-Mitbewohner*innen dieser dokumentarischen Annäherung Tänzer*innen sind und wiederum von anderen Tänzer*innen dargestellt werden, kann etwas irreführend sein. Auch wäre es vielleicht reizvoller, eine Wohngemeinschaft näher zu beleuchten, die heterogener ist, deren Bewohner*innen unterschiedliche Berufe ausüben. Dennoch schafft die Installation einen echten und anregenden (sozialen) Raum der Auseinandersetzung. Es ist ein besonders lebensnahes Thema, das auf kreative Weise nicht nur erzählt, sondern auch erlebbar gemacht wird. Was bedeutet es, sich die Wohnung mit Fremden zu teilen? Welche Kompromisse sind wir bereit, einzugehen? Wie profitieren wir voneinander? Kurz: Wie wollen wir miteinander leben?

Genre

Installation, Performance

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Simone Saftig
Simone Saftig
studierte Germanistik, Kommunikations- und Medienwissenschaften. Sie arbeitet am Institut für Germanistik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und schreibt als freie Autorin neben kritik-gestalten auch für Theaterfestivals und den RuhrBühnen-Blog.